Die fünf wichtigsten Reformen, die eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft anstoßen sollte

Vom Wahlrecht bis zum Lobbyregister: Der Mannheimer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas König rät zu grundlegenden Änderungen, um Europas Spaltung zu verhindern.

Am 1. Juli hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Der Mannheimer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thomas König, Projektleiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) und Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereichs zur politischen Ökonomie von Reformen, fordert eine Zäsur, um die EU fit für die Zukunft zu machen. „Anstatt sich im Klein-Klein der Finanzmittelvergabe zu verlieren, muss die EU jetzt damit beginnen, ihre inneren Ungleichgewichte abzubauen. Nur grundlegende Reformen können verhindern, dass Euroskeptizismus, nationale Egoismen und die Polarisierung innerhalb der Union weiterwachsen“, so König.

Doch was müsste passieren, um diese Probleme zu überwinden? Die wichtigsten Reformen aus Sicht von Thomas König:

1. Verringerung der Anzahl an Spitzenpositionen in EU-Organen durch Abkehr vom deskriptiven Repräsentationsprinzip

Thomas König: „Schon vor den Erweiterungsrunden auf 28 Mitgliedstaaten war man sich einig, dass das Prinzip ‚ein Staat, ein Kommissar, ein Richter...‘ die europäischen Organe aufblähen würde. Je mehr Kommissare und Richter ihre unterschiedlichen Sichtweisen durchsetzen, desto uneinheitlicher fällt die europäische Integration aus. Schlankere europäische Organe würden sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und diese einheitlicher wahrnehmen.“

2. Einführung eines Initiativrechts in der Gesetzgebung für das Europäische Parlament und den Europäischen Rat

Thomas König: „Die Europäische Kommission übt bei der Vorbereitung von Gesetzesinitiativen nach wie vor ein Monopol aus. Weder das EU-Parlament noch der Rat können eigenständig Gesetze initiieren und den Wählern dadurch signalisieren, welchen Weg sie für die europäische Integration beschreiten möchten. Hätten auch Parlament und Rat das Initiativrecht, so fände erstens ein sichtbarer Wettbewerb über den besten Weg zur europäischen Integration statt, der zweitens der heute sehr viel größeren und heterogeneren Union besser gerecht würde.“

3. Einführung eines überstaatlichen Wahlsystems mit aktivem Repräsentationsprinzip  

Thomas König: „Erst nach den Wahlen bilden die nationalen Parteigruppierungen europäische Fraktionen, jedoch nicht für die Regierungsbildung, sondern zur Verteilung von Ressourcen und Aufgaben in Ausschüssen. Im Europäischen Parlament werden die Sitze nach nationaler Einwohnerzahl aufgeteilt, während die Stimmabgabe nur der Verteilung unter den Kandidaten der nationalen Parteien dient. Bei Einführung eines überstaatlichen Wahlsystems würde nicht die Partei gewinnen, die verspricht, das meiste für ihre nationale Bevölkerung herauszuholen, sondern die europäische Fraktion, die mit den attraktivsten Kandidaten und Vorschlägen zur europäischen Integration die meisten Stimmen erhält.“

4. Für mehr Transparenz in der EU-Gesetzgebung: Begrenzung der Anzahl an informellen Verhandlungen (Trilogen)

Thomas König: „Mit der historischen Erweiterung der Europäischen Union ist die Vielfalt unter den 27 bis 28 Mitgliedstaaten viel größer geworden. Anstatt sich auf gemeinsame Standpunkte im Vermittlungsverfahren zu einigen, werden mittlerweile fast alle EU-Gesetze informell schon vor der ersten Parlamentslesung ausgehandelt. Diese Intransparenz spielt den Euroskeptikern in die Hände. Statt offener Debatte, Transparenz und Verantwortlichkeit stehen dadurch Fragen nach Kontrolle derjenigen im Vordergrund, die ohne Protokolle Vereinbarungen aushandeln. Dieser Hinterzimmerpolitik muss ein Riegel vorgeschoben werden.“

5. Einführung eines Lobbyregisters mit Evaluation von Stellungnahmen

Thomas König: „Die EU hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, das teils selbstverschuldet ist. Einerseits ist sie auf vielfältige Expertise angewiesen, die Interessengruppen bereitstellen können. Andererseits handeln Interessengruppen eher im Interesse ihrer Gruppe als der Allgemeinheit. Während ein Lobbyregister nur regelt, welche Interessengruppe beispielsweise Stellungnahmen zu Gesetzen abgeben darf, sagt das noch nichts über die Qualität der Expertise aus. Um diese für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, müssen die Stellungnahmen mit wissenschaftlichen Evaluationsmethoden auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht werden.“

Ob die deutsche Ratspräsidentschaft zumindest einige der genannten Vorhaben in Angriff nimmt, kann zum jetzigen Zeitpunkt schwer beurteilt werden. Ein „Weiter so“ kann es aus Sicht von König allerdings nicht geben – nicht noch einmal, so sein Appell: „Der französische Präsident Emmanuel Macron versuchte bereits 2018, die Diskussion über eine Reform der EU anzustoßen. Vielleicht war sein Vorschlag zu sehr von seiner Sichtweise auf französische Probleme und Interessen geprägt. Jedenfalls blieb eine deutsche Reaktion aus. Mit der Ratspräsidentschaft bietet sich Deutschland nun die Gelegenheit, eigene Vorstellungen einzubringen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, um grundlegende Reformen anzustoßen.“

Weitere Informationen und Kontakt:

Prof. Dr. Thomas König
MZES-Projektleiter und
Sprecher des Sonderforschungsbereichs "Political Economy of Reforms"
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2073
E-Mail: koenig [at] uni-mannheim.de

Nikolaus Hollermeier
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2839
E-Mail: kommunikation [at] mzes.uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de

(Pressemitteilung Universität Mannheim, 02.07.2020)