Politische Gespräche und demokratische Politik. Die Alltagskommunikation der Bürger/innen im deliberativen System
Das Projekt befasst sich mit einer gravierenden Lücke der empirischen Forschung über deliberative Politik. Obwohl die deliberative Wende der Demokratietheorie zu steigendem Interesse an der Rolle des Gesprächs für die demokratische Qualität von Politik führte, hat sich die Forschung bislang kaum mit den informellen politischen Konversationen der einfachen Bürger beschäftigt. Es ist daher unklar, wie sich die politische Alltagskommunikation gemessen an den normativen Standards genuiner Deliberation bewährt. Es gibt weder robuste Befunde über die Hintergründe hoher Deliberativität, noch darüber, ob diese tatsächlich die günstigen Auswirkungen auf den demokratischen Prozess hat, welche die deliberative Theorie erwartet.
Das Projekt analysiert politische Alltagsgespräche im Hinblick auf ihre deliberative Qualität, auf ihre Bedingungen und Konsequenzen. Damit soll es dazu beitragen, diese Gespräche in ihrer Funktion als grundlegende Form politischer Kommunikation und als Fundament des deliberativen Systems besser zu verstehen. Komplementär zur Forschung über politische Kommunikation in den institutionellen Arenen des deliberativen Systems soll das Projekt drei miteinander verknüpfte Forschungsfragen beantworten: (RQ1) Wie deliberativ sind die politischen Alltagsgespräche der Bürger? Um ihre deliberative Qualität zu beurteilen, sollen die Gespräche auf einer Palette von Sub-Dimensionen beschrieben und einem systematischen Vergleich mit dem Idealtyp genuiner Deliberation unterzogen werden. (RQ2) Welche Bedingungen fördern oder hemmen die Deliberativität politischer Alltagsgespräche? Das Projekt baut auf Ansätzen der Partizipationsforschung auf. Es fragt nach der Bedeutung von Kompetenzen und Motivationen als persönliche Attribute der Beteiligten. Es untersucht außerdem die Rolle von Gelegenheiten für Gespräche und von Einschränkungen solcher Gespräche, die sich aus der Einbettung der Beteiligten in sozialräumliche und situative Kontexte ergeben. (RQ3) Führen politische Gespräche höherer deliberativer Qualität zu positiven Konsequenzen für den demokratischen politischen Prozess?
Die deliberative Theorie lässt erwarten, dass deliberative Kommunikation bürgerschaftliche Orientierungen und Legitimitätsüberzeugungen fördert und stabilisiert. Das Projekt wird diese Hypothesen testen und damit das Verständnis der mikroanalytischen Grundlagen von Systemkonsequenzen verbessern. Das Projektdesign kombiniert eine lokale, zweiwellige Panel-Umfrage mit einer Schneeball-Befragung von Gesprächspartnern sowie Aggregatdaten zu sozialräumlichen Kontexten. Um die Bedeutung situativer Umstände zu analysieren, werden die Panelwellen so getaktet, dass die Basisinterviews die Bedingungen 'normaler Politik' und die Re-Interviews den politisierten Kontext von Wahlen reflektieren.
Im vergangenen Jahr lag der Fokus auf der Bearbeitung der Leitfragen des Projekts. Konkret ging es dabei um Fragen zu Ungleichheiten in politischen Gesprächen, Einstellungen gegenüber politischer Alltagsgespräche und dem öffentlichen politischen Gespräch mit Fremden aus einer deliberativen Perspektive. Die Ergebnisse wurden in mehreren einschlägigen Zeitschriften mit Peer-Review veröffentlicht und auf der Konferenz der American Political Science Association in Montréal präsentiert. Weiterhin wurde im Rahmen eines Dissertationsprojekts zu Geschlechterunterschieden bezüglich verschiedenster Dimensionen von politischen Konversationen eine Monografie vorbereitet. Zwischenergebnisse davon wurden auf internen Kolloquien präsentiert.