Religion, Religiosität und die sozial-identifikative Integration muslimischer Jugendlicher
Das Projekt untersuchte den Einfluss von Religion und Religiosität auf die soziale und emotionale Integration muslimischer Jugendlicher in Deutschland. Ausgangspunkt war der etablierte Befund, dass muslimische Jugendliche weniger deutsche Freunde haben und sich weniger stark mit Deutschland identifizieren als nichtmuslimische Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sowohl in wissenschaftlichen als auch öffentlichen Debatten werden diese Muster häufig auf muslimische Religiosität zurückgeführt, auch wenn es hierzu vor Projektbeginn kaum gesicherte empirische Befunde gab.
Um die Rolle von Religion und Religiosität für die soziale und emotionale Integration muslimischer Jugendlicher zu untersuchen, wurden drei Datenquellen verwendet. Erstens führten wir eine umfassende Längsschnittanalyse von Sekundärdaten über Freundschaftsnetzwerke von Jugendlichen und deren Identifikation durch. Zweitens führten wir qualitative Gruppendiskussionen mit muslimischen und nicht-muslimischen Freundschaftsgruppen durch. Drittens führten wir ein Online-Survey-Experiment durch, in dem wir untersuchten, wie muslimische und nicht-muslimische Jugendliche und junge Erwachsene einander bewerten und wie dies von ihrer Religiosität abhängt.
In Bezug auf Freundschaftsnetzwerke ist ein zentrales Ergebnis, dass sowohl Religion als auch Religiosität zu Segregationstendenzen beitragen. Unsere Sekundärdatenanalysen zeigen, dass Religion die Entstehung von Freundschaften stärker beeinflusst als Religiosität – muslimische Jugendliche freunden sich eher mit muslimischen Gleichaltrigen an, während nichtmuslimische Jugendliche ihrerseits selten Freundschaften mit muslimischen Jugendlichen schließen. Sowohl in den Gruppendiskussionen als auch im Experiment erwies sich jedoch die Religiosität als bedeutsamer als die Religion. Unsere wichtigste Schlussfolgerung ist, dass sowohl Religion als auch Religiosität die soziale Integration muslimischer Jugendlicher beeinflussen, auch wenn ihre relative Bedeutung zu variieren scheint.
Zudem haben wir gezeigt, dass Religiosität zwar relevant, aber nicht ausschlaggebend, dafür ist, wie stark sich muslimische Jugendliche mit Deutschland identifizieren. Religiosität hängt negativ mit nationaler Identifikation zusammen; dies gilt freilich sowohl für muslimische als für auch nichtmuslimische Jugendliche mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus zeigten wir in Längsschnittanalysen, dass muslimische Religiosität im Zeitverlauf nicht mit einer geringeren nationalen Identifikation einhergeht. Zusammengenommen weisen diese Befunde darauf hin, dass muslimische Religiosität die Identifikation mit Deutschland nicht zwangsläufig mindert.