Wie flexible Mehrheiten die politische Handlungsfähigkeit in Deutschland erhöhen können

Fragestellung/Ziel: 

Die zunehmende Fragmentierung des Parteiensystems hat die Bildung von Mehrheitskoalitionen auf Bundes- und Landesebene immer schwieriger werden lassen. Wo traditionellen Lagerkoalitionen (wie CDU/CSU und FDP bzw. SPD und Grüne) Mehrheiten fehlen, bilden sich notgedrungen oft komplexe und ideologisch überdehnte Dreierbündnisse (z. B. sogenannte Kenia-Koalitionen) bilden. Vor diesem Hintergrund untersuchte das von der Baden-Württemberg Stiftung geförderte Projekt die normativen und politischen Nachteile von Mehrheitskoalitionen und explorierte, welche Alternativen zur althergebrachten Mehrheitskoalition in Deutschland denkbar wären.

Um die Nachteile von Mehrheitskoalitionen zu analysieren wurde anhand von Daten zu Gesetzgebung, Parteipositionen und Sitzverteilungen beleuchtet, wie häufig sich themenspezifische Minderheiten in einer Mehrheitskoalition durchsetzen können. Ebenso wurde untersucht, wie stark die in Deutschland praktizierte rigide Koalitionsdisziplin die Unterscheidbarkeit der Koalitionspartner in den Augen der Wählerschaft verringert.
Um Alternativen zu Mehrheitskoalitionen aufzuzeigen, untersuchte das Projekt im Detail, inwiefern innovative Instrumente zur Mehrheitsbildung aus anderen Ländern (z. B. sogenannte agree-to-disagree-Klauseln oder confidence & supply-agreements) aus Skandinavien und Neuseeland sich in Deutschland adaptieren ließen. Verschiedene Interviews mit Praktikern aus Politik und Medien halfen, die Perspektiven der Akteure zu beleuchten. Die Einstellungen der Wählerinnen und Wähler gegenüber Minderheitsregierungen bzw. wechselnden Mehrheiten waren Gegenstand einer bevölkerungsrepräsentativen quotierten Online-Umfrage im Vorfeld der Bundestagswahl 2021.

Die bisherigen Ergebnisse, die zum formalen Abschluss des Projektes noch nicht vollständig vorliegen, zeigen, dass die Nachteile von Mehrheitskoalitionen (z. B. themenspezifische Minderheitenherrschaft, verringerte Profilschärfe von Koalitionsparteien) insbesondere im fragmentierten Parteiensystem weiter zunehmen. Die qualitativen Einsichten aus den Interviews legen den Schluss nahe, dass politische Akteure auf Bundes- und Landesebene flexiblere Mehrheiten prinzipiell als möglich ansehen, diese Option aber als einen fundamentalen Pfadwechsel ansehen, den sie wohl nur in Krisensituationen erwägen würden. Unsere Umfrage zeigte, dass die Wählerschaft im Gegensatz zu den politischen Eliten gegenüber neuen Wegen in der Mehrheitsbildung (z. B. Minderheitsregierungen) erstaunlich aufgeschlossen ist.

Fact sheet

Finanzierung: 
Baden-Württemberg Stiftung
Laufzeit: 
2018 bis 2021
Status: 
beendet
Datenart: 
Verhaltensdaten (insbesondere Abstimmungskoalitionen); Interviews mit politischen Praktikern
Geographischer Raum: 
Deutschland (Bundes-, Landes- und kommunale Ebene)

Veröffentlichungen