Dieter Roth, Andreas M. Wüst
Abwahl ohne Machtwechsel: Die Bundestagswahl 2005 im Lichte langfristiger Entwicklungen

S. 43-70 in: Eckhard Jesse, Roland Sturm (Hrsg.): Bilanz der Bundestagswahl 2005: Voraussetzungen, Ergebnisse, Folgen. 2006. Wiesbaden: VS-Verlag

Während die rot-grüne Bundesregierung 2002 eine zweite Chance erhielt, konnte die Koalition 2005 auch nicht durch das waghalsige Manöver vorgezogener Neuwahlen gerettet werden. Die Regierung hatte sich nach sieben Jahren abgenutzt und vor allem in der zweiten Legislaturperiode neben den immer noch drängenden, altbekannten Problemen zu wenige neue politische Erfolge vorzuweisen. Statt dessen musste Gerhard Schröder, vor allem aufgrund seiner Reformagenda, zunehmend um den Zusammenhalt seiner Partei bangen und war demnach primär bestrebt, möglichst „viel SPD“ in eine neue Legislaturperiode zu retten. Durch einen beherzten Wahlkampf und Vorbehalten gegen die Sozialpolitik einer schwarz-gelben Alternativregierung, ist ihm dies gelungen. So bleibt die SPD zwar nicht mehr Kanzler-, aber zumindest Regierungspartei. Nach einem verbesserten Unionsergebnis 2002 verloren CDU und CSU 2005 beträchtlich. Zwar konnten sie ihren Kompetenzvorsprung in den zentralen Themenbereichen Arbeitsmarkt und Wirtschaft weiter ausbauen, doch bei den intensiv diskutierten sozialen Sicherungssystemen, insbesondere bei Rente und Gesundheit, lagen sie am Ende des Wahlkampf mit der SPD lediglich Kopf-an-Kopf. Zugunsten der Reformen, so scheint es, hat die Union zu viel Raum in der politischen Mitte preisgegeben. Dies hat ihr wichtige Stimmen gekostet, so dass die CDU/CSU nur knapp stärkste Fraktion im Bundestag werden konnte. Angela Merkel hat sich als Kanzlerkandidatin besser geschlagen als Edmund Stoiber drei Jahre zuvor. Im direkten Vergleich mit ehemaligen Kanzlerkandidaten der Union liegt lediglich Helmut Kohl 1976 mit Merkel 2005 gleichauf; Stoiber, Strauß und Barzel erhielten jeweils weniger Zustimmung. Trotz dessen lag Gerhard Schröder 2005, wie schon 1998 und 2002, in der Wählergunst deutlich vor seiner Herausfordererin. Dies hat auch mit Führungsfehlern der Kandidatin zu tun, vor allem im Fall Kirchhof. Den Steuerfachmann aus Heidelberg in das Unions-Kompetenzteam zu berufen, wurde von der Bevölkerung noch begrüßt. Als Kirchhof dann aber primär sein Konzept anpries anstelle des Konzepts der Union, entstand Verwirrung, die Rot-Grün zu verstärken wusste. So kommt es 2005 nicht zum Macht-, aber zum Regierungswechsel: es bleibt (nur) die Große Koalition, die von der Bevölkerung zunächst noch recht ambivalent beurteilt wird.