Franz Urban Pappi, Anna-Sophie Kurella, Thomas Bräuninger
Die Politikpräferenzen der Wähler und die Wahrnehmung von Parteipositionen als Bedingungen für den Parteienwettbewerb um Wählerstimmen

S. 1-30 in: Evelyn Bytzek, Markus Steinbrecher, Ulrich Rosar (Hrsg.): Wahrnehmung - Persönlichkeit - Einstellung. Psychologische Theorien und Methoden in der Wahl- und Einstellungsforschung. 2018. Wiesbaden: Springer VS

Der Grad der Übereinstimmung zwischen den Politikangeboten der Parteien und der Politiknachfrage der Wählerinnen und Wähler bietet den Wählern Kriterien für die Wahlentscheidung und den Parteien Anhaltspunkte für ihren Wettbewerb um Wählerstimmen. Diese Übereinstimmung wird in der empirischen Wählerforschung mit ideologischen Skalen wie Links-Rechts oder mit Policy-Skalen zu wichtigen Themen der politischen Auseinandersetzung gemessen. Wenn Befragte über die Positionen der einzelnen Parteien auf den vorgegebenen Skalen urteilen und Angaben über ihren eigenen Standpunkt machen, besteht die Gefahr von Urteilsverzerrungen. Befragte neigen dazu, die Position von Parteien, die sie wertschätzen, näher an sich heranzurücken (Assimilationseffekt) und die Distanz zu den anderen Parteien zu überschätzen (Kontrasteffekt). Parteien benötigen für ihre Planung aber Positionsschätzungen, über die in der Wählerschaft große Urteilskonkordanz besteht. Die Mittelwerte sind als Positionsschätzer ungeeignet, da sie von gleichem Skalengebrauch der Befragten ohne Berücksichtigung des differential item functioning ausgehen. Wir wenden ein bayesianisches faktoranalytisches Messverfahren an, das aus den Befragtenangaben zu den Parteipositionen „wahre“ Positionen berechnet, die für die Befragten als „gleich wahrgenommen“ interpretiert werden. Wir demonstrieren das Verfahren mit den im Vorwahlquerschnitt der GLES abgefragten Skalen: Links-Rechts, sozialstaatliche Leistungen versus Steuern/Abgaben, Einwanderungspolitik und Klimaschutz. Die ursprünglichen Skalenangaben werden unter Annahme eines linearen Zusammenhangs in die „wahren“ Parteiwerte umgerechnet und die eigene Einstellung der Befragten wird mit den bei der Parteienwahrnehmung gewonnenen Koeffizienten an die gemeinsame Parteiskala angepasst. Die Häufigkeitsverteilungen der auf diese Weise erhaltenen Wähleridealpunkte fassen zusammen mit den entsprechenden Parteiwerten die zentralen Informationen zur Charakterisierung und Anwendung räumlicher Modelle des Parteienwettbewerbs zusammen.