Elmar Rieger
Politik supranationaler Integration. Die Europäische Gemeinschaft in institutionentheoretischer Perspektive Perspektive

S. 349-367 in: Birgitta Nedelmann (Hrsg.): Politische Institutionen im Wandel.. 1995. Opladen: Westdeutscher Verlag
[Sonderheft der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie]

Gleichzeitig mit der inzwischen sehr weitreichenden supranationalen Integration der westeuropäischen Gesellschaften ist eine ungebrochene Kontinuität und Stabilität nationalstaatlicher Ordnungen und nationalstaatlicher Politik zu beobachten. Eine derartige Konstellation war bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht abzusehen. Sie stellt auch die sozialwissenschaftliche Analyse des westeuropäischen Integrationsprozesses vor große Herausforderungen. Der hier vorgestellte Versuch einer institutionellen Analyse der Europäischen Union geht von der Hypothese aus, daß die Formen und Funktionen der Politik supranationaler Integration sehr viel stärker auf die Bewahrung nationaler Strukturen und die Erweiterung staatlicher Handlungsmöglichkeiten im jeweiligen binnengesellschaftlichen Raum und sehr viel weniger auf die Schaffung supranationaler Strukturen bezogen sind. Diese These hat vielfältige Implikationen für die Analyse und Erklärung des sozialen und politischen Wandels der westeuropäischen Gesellschaften in der Nachkriegszeit, wie auch für die Interpretation der Ausgangs- und Bezugspunkte der Politik supranationaler Integration.

Despite the progress of supranational integration in Western Europe, national institutional orders and national politics are still characterized by strong continuity and stability. On the background of the founding idea of the European Communities, such a constellation comes as a surprise. Accordingly, the social sciences have had their problems in analyzing this development. The present institutional analysis of the European Union is built on the assumption, that forms and functions of the politics of supranational integration are oriented towards the stabilization of national structures and towards increasing the autonomy of national politics vis-?-vis domestic structures. Such politics is much less oriented towards creating a supranational sphere. This hypothesis has several implications not only for the analysis and the explanation of social change in Western European societies after World War II, but also for understanding the take-off and the parameters of supranational integration.