Thomas Bahle
Soziale Mindestsicherung

S. 761-782 in: Herbert Obinger, Manfred G. Schmidt (Hrsg.): Handbuch Sozialpolitik. 2019. Wiesbaden: Springer VS

Der Beitrag analysiert Soziale Mindestsicherungssysteme in entwickelten westlichen Wohlfahrtsstaaten. Mindestsicherung gewährt bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen, die ein soziales Minimum garantieren. Im sozialen Sicherungssystem entwickelter Länder erfüllt Mindestsicherung als letztes soziales Auffangnetz eine residuale Funktion. Die faktische Bedeutung der Mindestsicherung variiert jedoch im internationalen Vergleich erheblich. In den nordischen Ländern ist die soziale Sicherung oberhalb der Mindestsicherung relativ inklusiv und generös, so dass Letztere eine kleine Rolle spielt. In den angelsächsischen Ländern hingegen nimmt sie auf einigen Feldern eine zentrale Stellung ein. In den kontinentaleuropäischen Ländern gibt es große Unterschiede im Hinblick auf verschiedene Bevölkerungsgruppen. Ältere Menschen sind meist mehr sozial geschützt als Kinder und weit mehr als Erwerbslose, so dass Mindestsicherung für diese Gruppe weniger bedeutsam ist als für jene. In fast allen Ländern liegt das Leistungsniveau der Mindestsicherung unter der Armutsrisikoschwelle, so dass sie nur in wenigen Fällen einen effektiven Beitrag zur Armutsreduktion leistet. Dennoch verringert die Mindestsicherung die Armutslücke und verhindert Deprivation zum Teil. Insgesamt ist die Mindestsicherung zwar eine wichtige Ergänzung zur klassischen sozialen Sicherung, bietet aber keinen adäquaten Ersatz. Dies gilt gerade für Länder mit rudimentär entwickelten Wohlfahrtsstaaten, in denen auch die Mindestsicherung weniger effektiv ist. In der Regel haben mehr entwickelte Wohlfahrtsstaaten auch die stärkeren Mindestsicherungssysteme. In den weniger entwickelten Sozialsystemen stößt der Ausbau der Mindestsicherung auf besonders große strukturelle und politische Hindernisse.