Marc Debus, Jochen Müller
Bewertung möglicher Regierungen oder Spiegel des politischen Wettbewerbs? Determinanten der Koalitionspräferenzen der Wähler in den Bundesländern von 1990 bis 2009

Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2012: 22, Heft 2, S. 159-186
ISSN: 1430-6387

Koalitionsregierungen stellen im bundesdeutschen Mehrebenensystem die Norm dar. Dies wirkt sich nicht nur auf den politischen Prozess und die Politikgestaltung aus, sondern erhöht auch die Komplexität der Wahlentscheidung. Relativ wenig ist jedoch über die Determinanten der Koalitionspräferenzen der Wähler bekannt. Im vorliegenden Aufsatz leiten wir auf Basis von Theorien des Wahlverhaltens, der Regierungsbildung und des Politiklernens Erwartungen dahingehend ab, welche Faktoren die Koalitionspräferenzen der Wähler beeinflussen sollten. So erwarten wir, dass die Wähler solche Koalitionen bevorzugen, die ihre Präferenzen am ehesten umsetzen werden. Zugleich gehen wir davon aus, dass Wähler die Muster des Parteienwettbewerbs adaptieren und daher antizipieren können, wie realistisch einzelne Koalitionen – gegeben die bestehenden Muster der Regierungsbildung – sind. Wir überprüfen unsere Erwartungen auf Basis eines Datensatzes, der 78 Landtagswahlstudien und den Zeitraum von 1990 bis 2009 abdeckt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Koalitionspräferenzen der Wähler bei Landtagswahlen nicht nur von den Koalitionsaussagen der Parteien und der subjektiven Parteinähe der Wähler abhängen, sondern auch von den Eigenschaften der in der Vergangenheit gebildeten Regierungskoalitionen. Wähler präferieren eher Parteienkombinationen, die den dominanten Mustern der Regierungsbildung entsprechen. Dies ist zudem umso stärker der Fall, wenn ein Bundesland in besonderem Maße vom Regieren in Koalitionen geprägt ist.

Coalition governments are the norm in the German multilevel-system. Their existence not only affects the political process and policy-making, but also increases the complexity of voting: The behaviour of voters at the polls is not only based on the evaluation of the parties, but also influenced by their opinion on the coalitions that the parties could form after the election. But we still know little about the determinants of voters' coalition preferences. In this paper, we combine theories of voting behaviour, government formation and policy learning to derive expectations regarding factors that may impact voters’ coalition preferences. For example, we expect that voters prefer coalitions that are most likely to implement their policy preferences. At the same time, we assume that voters adopt the patterns of party competition and anticipate how realistic individual coalitions are – given the existing patterns of government formation. We test our hypotheses by analysing survey data from 78 election studies from the German state level. The results support our arguments: the coalition preferences of voters depend not only on the programmatic proximity of potential coalitions, the parties’ coalition statements and party identification, but also on the characteristics of coalitions that were formed in the past.