Manuel Siegert, Tobias Roth
Das schulische Selbstkonzept von türkeistämmigen Neuntklässlern und Neuntklässlern ohne Migrationshintergrund

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 2020: 72, Heft 4, S. 627–650
ISSN: 0023-2653 (print), 1861-891X (online)

Schulische Selbstkonzepte, d. h. Einschätzungen einer Person bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten im schulischen Bereich, spielen in der pädagogischen Psychologie eine wichtige Rolle, in der soziologischen Bildungsforschung wurden sie dagegen bislang nur wenig beachtet. Da sie die schulischen Leistungen und bildungsbezogene Entscheidungen beeinflussen, kann die Berücksichtigung der Selbstkonzepte jedoch dazu beitragen, Bildungsungleichheiten besser zu verstehen. So deuten die häufig ambitionierten Bildungsentscheidungen türkeistämmiger Schüler* darauf hin, dass sie ihre Fähigkeiten trotz ihrer häufig eher schwachen Leistungen als ausreichend hoch einschätzen, um anspruchsvolle Bildungskarrieren erfolgreich zu durchlaufen. Tatsächlich können wir anhand der Daten des Nationalen Bildungspanels zeigen, dass türkeistämmige Schüler in der neunten Klassenstufe ihre schulischen Fähigkeiten positiver einschätzen als vergleichbare Schüler ohne Migrationshintergrund, wobei dies am Gymnasium besonders deutlich ausfällt. Entgegen geäußerter Vermutungen gehen die optimistischen Selbsteinschätzungen dabei nicht primär auf die ambitionierten Bildungsziele der türkeistämmigen Eltern zurück.

Academic self-concepts, i.e., a person’s assessments of his or her own abilities at school, play an important role in educational psychology but have so far received little attention in sociological educational research. However, because they influence school performance and educational decisions, the consideration of self-concepts can contribute to a better understanding of educational inequalities. The ambitious educational choices of students with a Turkish migration background indicate that, despite their often rather poor performance, they consider their abilities to be sufficiently high to successfully complete demanding educational careers. In fact, based on data from the National Educational Panel Study, we can show that ninth-graders with a Turkish background assess their academic abilities more positively than comparable pupils without a migration background. This is particularly the case among students attending a Gymnasium. Contrary to theoretical assumptions, the ambitious educational aspirations of parents of Turkish origin contribute only a small part in explaining these differences.