Mareike Ariaans, Nadine Reibling
Die Rolle von Gesundheit und Krankheit im deutschen Armutsdiskurs: Eine Inhaltsanalyse der Armuts- und Reichtumsberichte

Zeitschrift für Sozialreform, 2021: 67, Heft 2, S. 123-152
ISSN: 0514-2776 (print), 2366-0295 (online)

Mit der Veröffentlichung der Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung seit 2001 hat sich ein politischer Armutsdiskurs in Deutschland verstetigt. Gesundheit ist in allen bisherigen fünf Berichten eine zentrale Dimension. Jedoch ist für Deutschland bis heute wenig erforscht, welche Rolle Gesundheit in der politischen Debatte zu Armut einnimmt. Aufbauend auf der Medikalisierungstheorie untersuchen wir in diesem Beitrag mit einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse, wie Gesundheit und Krankheit in den Berichten dargestellt werden. Über den gesamten Zeitraum wird Armut eher als Ursache von Krankheit gesehen. Der Schwerpunkt der Lösungen für armutsbedingte Krankheiten liegt vor allem auf Verbesserungen des Gesundheitssystems und nicht bei der Armutsbekämpfung. Verhältnisprävention spielt erst in den letzten beiden Berichten eine bedeutsame Rolle. Auch werden gesundheitsbedingte Armutslagen nach dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht (2013) weniger individualisiert und stattdessen strukturelle Ursachen wie Arbeitsbedingungen stärker diskutiert.

With the publication of the poverty and wealth reports of the federal government since 2001 a political poverty discourse has perpetuated in Germany. Until now, the German government published five reports. Health constitutes central dimension of poverty in all of them. Nevertheless, there has been no research on the role of health in political poverty discourse. Building on medicalization theory, we analyzed how health and illness has been portrayed in all reports using a quantitative and qualitative content analysis. In all reports, poverty has been mainly depicted as the cause of illness. However, the solutions to poverty-related illness have focused primarily on reforms in the healthcare system rather than on poverty alleviation. Prevention and especially setting-based prevention have become more important measures in the last two reports. Furthermore, health-related poverty has been less individualized since the fourth report (2013). Instead, structural causes such as working conditions have been emphasized.