Walter Müller
Erwartete und unerwartete Folgen der Bildungsexpansion

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1998: Heft Sonderh.38, S. 81-112

Die Bildungsexpansion wird in der Literatur mit einer Vielzahl von Folgen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen verbunden. Der Beitrag untersucht diese Zusammenhänge vor allem für zwei ausgewählte Bereiche: die Entwicklung der sozialen Ungleichheit der Bildungsbeteiligung im Zuge der Bildungsexpansion und die Entwicklung der Folgen von erworbenen Bildungsqualifikationen für die Erwerbschancen und die berufliche Plazierung von Bildungsabsolventen im Beschäftigungssystem. Für diese Be-reiche werden die vorweggenommenen oder nachträglich gemachten weitreichenden Aussagen einzelner Soziologen, die als diagnostische Zeitdeutungen verstanden werden können, den vorhandenen, jedoch begrenzten Erkenntnissen empirischer soziologischer Forschung gegenübergestellt. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß sich die "Diagnosefä-higkeit der Soziologie" in den untersuchten Bereichen kaum als tragfähig erwiesen hat. Dies liegt zum Teil an der kaum überwindbaren Schwierigkeit, den Beitrag einer Einzelentwicklung in vielfach interdependenten sozialen Veränderungsprozessen präzise zu bestimmen, zum Teil aber auch an den inhärenten argumentativen Schwächen von Diagnosen.

In the literature, educational expansion is assumed to be associated with a number of consequences in the most diverse societal domains. This essay examines this issue for two domains in particular: the development of social inequality in educational participation in the course of educational expansion, and the development of the consequences of educational qualifications for occupational placement and career prospects. For these areas, the essay contrasts general diagnostic statements and interpretations of consequences of educational expansion with existing, though limited, findings of empirical sociological research. It con-cludes that in the areas examined, sociology's 'diagnostic ability' has hardly proved reliable. This is partly due to the hardly surmountable difficulty of precisely determining the contribu-tion of a specific factor within multiple-interdependent processes of social change, and partly to the inherent argumentative weaknesses of the diagnoses.