Egbert Jahn
"Nie wieder Krieg! Nie wieder Völkermord!" : Der Kosovo-Konflikt als europäisches Problem
Der Kosovo-Konflikt hatte mit dem NATO-Luftkrieg gegen Jugoslawien eine dramatische Zuspitzung erfahren. Mit dem Rückzug der serbisch-jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo ist der Konflikt noch keineswegs beendet. Die grundsätzlichen Probleme sind nach wie vor ungelöst, auch wenn sich die internationalen und lokalen Konstellationen völlig verändert haben. Der staatlich-rechtliche Status der jugoslawischen Provinz bleibt umstritten. Für viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte werden höchstwahrscheinlich Truppen der NATO, Rußlands und Verwaltungskräfte der Vereinten Nationen in der Provinz anwesend und Kosovo wird wohl ein Dauerthema der europäischen Politik bleiben.
Selten wurde ein blutiger politischer Konflikt so klar von zahlreichen Fachleuten vorausgesagt wie im Falle des Kosovo. Er erhält seine besondere Brisanz vor allem dadurch, daß es sich nicht um einen üblichen Herrschaftskonflikt handelt, sondern - wie die vorliegende Studie herausarbeitet - um einen Siedlungskonflikt, in dem die streitenden Parteien die Legitimität der Anwesenheit anderer ethnischer Bevölkerungsgruppen auf dem umstrittenen Gebiet bestreiten.
Nach diesem Verständnis hat der Kosovo-Konflikt seine historischen Wurzeln in den Veränderungen der ethnischen Struktur des Gebiets seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Entfaltung und das Aufeinanderprallen unvereinbarer Gebietsansprüche des serbischen und albanischen Nationalismus begünstigten. In den kommenden Jahrzehnten bestimmten jedoch vor allem die wechselnden Konstellationen europäischer Großmächtepolitik das Schicksal der Region, wo nicht das Nationalstaatsprinzip, sondern das imperiale Prinzip zur Geltung kam.
Beim Zerfall Jugoslawiens wurde höchst bedeutsam, daß unter kommunistischer Herrschaft zwar schrittweise der Status der Provinz Kosovo erhöht worden war, die Albaner aber nicht vollends den erstrebten Status einer Republik erringen konnten. Damit blieb den albanischen Kosovaren versagt, was den Slowenen, Mazedoniern und anderen bei der Verselbständigung der Republiken international gewährt wurde. Die Studie arbeitet heraus, weshalb der Westen wie die Vereinten Nationen insgesamt im Grunde die kommunistische national-territoriale Ordnung Titos wie Stalins unverändert übernommen haben.
Aus den unvereinbaren politischen Positionen Jugoslawiens, der NATO-Staaten und der albanischen Kosovaren ergab sich bei der gewaltsamen Konfliktzuspitzung ein merkwürdiges Zusammenspiel weitgehend voneinander getrennter Gewaltaktionen, die nur zum geringeren Teil den Charakter eines herkömmlichen Staaten- oder Bürgerkrieges, sondern eher den eines kriegerischen Terrorwettbewerbs hatten. Dabei entstanden fließende, aber dennoch analytisch trennbare Übergänge zwischen Krieg, Terror und Völkermord.
Der Kosovo-Krieg bedeutet vor allem für Deutschland, aber auch für die NATO und das gesamte postkommunistische Europa einen Wendepunkt in der internationalen Politik. Dies führte vor allem in Deutschland zu einer politisch-moralischen und völkerrechtlichen Grundsatzdebatte über die Legitimität eines Interventionskrieges im Falle solch schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord. Die Studie arbeitet die unvereinbaren Positionen in diesen Debatten heraus und kommt zu dem Ergebnis, daß auf der Ebene militärischer Logik weder der Kosovo-Konflikt dauerhaft reguliert werden kann, noch ähnliche Konstellationen in anderen Teilen Europas und der Welt eine Wiederholung kriegerischer Intervention der NATO wahrscheinlich sein lassen.
In der Vergangenheit wurden zahlreiche Chancen der zivilen, nichtmilitärischen Intervention der Europäer in den Kosovo-Konflikt vertan, in dem sich Serben und Albaner allein nicht zu einer gemeinsamen Regulierung fähig zeigten. Über diese Feststellungen hinaus versucht die Studie, Orientierungen für eine zukünftige zivile Umgangsweise mit dem Konflikt herauszuarbeiten. Werden diese neue zivilen Möglichkeiten nicht genutzt, kann auch eine weitere gewaltsame, terroristische oder kriegerische Auseinandersetzung zwischen der NATO und Rußland einerseits und den albanischen Kosovaren nicht ganz ausgeschlossen werden, da beide Seiten ganz unterschiedliche Vorstellung von der politischen Zukunft des Kosovo besitzen.
Rarely in recent years has a violent ethnic conflict been so clearly foreseen by so many experts as in the case of Kosovo. The escalation of the conflict in early 1999 led to a specific combination of war, terror and genocide which was very different from traditional civil and international war. A decisive reason for the peculiar situation of Kosovo is the fact that the international community continues to this day to accept in unchanged form the decisions made by Stalin and Tito regarding the territorial and political status of the ethnic and national groups in Eastern Europe. Since Kosovo did not receive the status of a republic (as did Slovenia or Macedonia) under Communist rule, the West is unwilling to recognize the possibility of secession in the Kosovo case. Although the interventionist war was fought by NATO in the first instance against the genocide policy of the Federal Republic of Yugoslavia, it was also directed against Albanian secessionism. This will probably lead to a quite lengthy protectorate under the auspices of NATO, Russia and the UN in Kosovo, and perhaps to violent clashes between the international forces and the Albanians.
The study discusses the ambivalent situation in Kosovo from the perspectives of international law and political ethics as well as outlining several components for a potential civil and peace strategy in the region, which could minimize the danger of renewed terror and war between the international forces and the Albanians in Kosovo.