Die Politik in Tschechien tritt auf der Stelle. Die vorgezogenen Neuwahlen im Juni 1998 endeten mit einem politischen Patt, d.h. sie endeten unentschieden. Seitdem ist keine Partei in der Lage, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Weder ist es einer der beiden großen Parteien in Verbindung mit kleineren Parteien gelungen, eine Regierungskoalition zusammenzustellen, noch sind die Parteien mit den meisten Stimmen dazu bereit gewesen, eine große Koalition zu bilden. Die im Parlament vertretenen politischen Parteien blockieren sich gegenseitig.
Bislang war keine Partei in der Lage, allein eine stabile Regierung zu stellen. Nur eine Koalition konnte eine hinreichende Mandatszahl auf sich vereinen. Nach den Wahlen 1996 übernahm eine schwache Mitte-Rechts-Koalition die Regierungsgeschäfte. Politische Mißerfolge, aber auch Spannungen innerhalb der Koalition und der Koalitionspartner führten zu ihrer Destabilisierung. Eine unaufgeklärte Spendenaffäre sorgte schließlich für den Zerfall der Koalition. Damit war erstmals seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes eine demokratisch gewählte Regierung vorzeitig gescheitert und die größte Oppositionspartei setzte nach einer Übergangsphase Neuwahlen durch. Es ist nun die paradoxe Situation entstanden, daß die Sozialdemokraten als stärkste Partei eine Minderheitsregierung gebildet haben, deren Politik zwar von allen im Parlament vertretenen Parteien abgelehnt wird, die aber durch einen mit der zweitstärksten Partei, der Demokratischen Bürgerpartei, ausgehandelten sogenannten Oppositionsvertrag, der die Rahmenbedingungen für den Bestand dieser Regierung festlegt, dennoch an der Macht gehalten wird. Weder ist sie bereit, von sich aus zurückzutreten, noch findet sich eine Mehrheit unter den Oppositionsparteien, um ihr das Vertrauen zu entziehen.
Die Tschechische Republik befindet sich in einer politischen und gesellschaftlichen Krise, und der Regierung sind die Hände gebunden. Es ist ihr kaum möglich, ihre politischen Ziele durchzusetzen. Erschwerend kommt hinzu, daß innerhalb der Regierungspartei oft Uneinigkeit über den richtigen politischen Weg herrscht. Dies hat zur Folge, daß notwendige Gesetzesvorhaben verschleppt werden oder ganz scheitern. Besonders am Verlauf der Vorbereitungen auf den Beitritt zur EU ist abzulesen, daß die Tschechische Republik gegenüber anderen Beitrittskandidaten weniger Fortschritte gemacht hat. Alle Versuche, die Regierungskrise doch noch zu überwindern, schlugen fehl. Die nochmalige Abhaltung von Neuwahlen wurde aus politischen Gründen und angesichts der geringen Erfolgsaussichten verworfen. Wochenlange Diskussionen über die Bildung einer stabilen Koalition scheiterten an den unterschiedlichen Interessen und an der mangelnden Kompromißbereitschaft der einzelnen Parteien. Die Mobilisierung der Bevölkerung verlief sich aufgrund mangelnder Konzepte. Den Bemühungen intellektueller Kreise fehlt die Durchschlagskraft. Am Ende bleibt die Vertiefung des Oppositionsvertrages, die eine Änderung des Wahlrechts bekräftigt und die Regierung handlungsfähiger machen soll. Erste positive Anzeichen hierfür lassen sich bei der Angleichung des tschechischen Rechtssystems an die EU-Normen bereits erkennen, für ein abschließendes Urteil ist es allerdings noch zu früh. Inzwischen ist auch die Änderung des Wahlrechts zugunsten der großen Parteien von beiden Häusern des Parlaments verabschiedet worden, um bei den nächsten Wahlen im Jahre 2002 die Zahl der Parteien im Parlament zu reduzieren und dadurch die Regierungsbildung zu erleichtern.