Mannheimer Forschende zur Regierungs­krise

Date: 
Friday, 8. November 2024
Medium: 
Universität Mannheim

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Prof. Dr. Marc Debus
Professur für Politik­wissenschaft, Vergleichende Regierungs­lehre:

Die Gemeinsamkeiten der Ampelkoalition lagen insbesondere in der Gesellschafts­politik: Alle drei Parteien haben hier ähnlich progressive Positionen. Die Unter­schiede waren und sind in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanz­politik hingegen sehr groß, wo die FDP fiskalisch konservative Positionen einnimmt, Grüne und SPD hingegen staats­interventionistische Positionen beziehen. Dieses Politikfeld war und ist für die FDP und ihrer Anhänger zentral, so dass die Liberalen hier wenig kompromissbereit sein müssen, um ihre Anhänger nicht (noch weiter) zu verprellen. Der Über­fall Russlands auf die Ukraine hat die Wirtschafts- und Finanz­politik sowie die Umwelt-, Energie- und Klimapolitik in den Vordergrund des Regierungs­handelns gerückt – und damit Politikfelder, in denen die Koalitions­parteien sehr unter­schiedlich ausgerichtet sind und die für die FDP, aber auch die beiden anderen Parteien, sehr wichtig geworden sind.

Vor dem Hintergrund, dass die FDP bei den letzten Landtagswahlen massiv an Unter­stützung verlor und aus den Landtagen ausschied, ist das von der FDP bevorzugte Ende der Ampelkoalition der Versuch, ihren potentiellen Wähler*innen ihr programmatisches Profil in wirtschafts-, sozial- und finanz­politischen Fragen wie auch ihre Eigenständigkeit zu signalisieren.

Möglicherweise sah man in der FDP die Chancen auf ein gutes Abschneiden bei einer Bundestagswahl im September als sehr gering an, wenn in den nächsten Monaten nur noch Streit und kaum Kompromisse, die die FDP ihren Anhängern gut hätte verkaufen können, in der Koalition an der Tagesordnung gewesen wären. Daher wohl die Forderung Lindners nach Neuwahlen. Man rechnet sich bei raschen Neuwahlen in der FDP bessere Chancen aus, da man mit dem Koalitions­ende Eigenständigkeit und Profil in den für die FDP so zentralen Fragen der Wirtschafts- und Finanz­politik gezeigt hat.

Prof. Dr. Thomas König
Professur für Politik­wissenschaft, Europäische Politik:

Die Ampelkoalition, die in Rheinland-Pfalz seit Jahren erfolgreich arbeitet, ist auf Bundes­ebene Geschichte. Ein wichtiger Erklärungs­faktor für ihr Scheitern ist die Er­kenntnis der Koalitions­parteien, dass die unkooperative Partnerschaft der drei Parteien auf Bundes­ebene zu keinen gemeinsamen Lösungen in wichtigen Streitfragen über den Haushalt, die Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Klimapolitik kommen kann. Zwar sind sich SPD und Grüne näher in der Frage, ob die Schuldenbremse für ihre Politikziele ausgesetzt werden soll, jedoch ist strittig, für welches Ziel die Mittel eingesetzt werden sollen.

War das Aus der Ampel vorhersehbar?
Auf der einen Seite spaltet die Frage über die Schuldenbremse die Ampelkoalition in zwei ideologische Lager. Auf der anderen Seite können die drei Parteien in Rheinland-Pfalz ihre ideologischen Unter­schiede überwinden. Rückblickend dürften die anfänglichen Erfolge der Grünen, die durch ihre unideologische Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine und die folgende Energiekrise in der Wählergunst an ihren Koalitions­partnern vorbeizogen, Gift für das Kooperations­klima in der Ampelkoalition gewesen sein. Je mehr SPD und FDP im Vergleich zu den Grünen in der Wählergunst abgestraft wurden, desto größer wurde der Koalitions­streit. 

Wann begann der öffentliche Koalitions­streit?
Erster Höhepunkt war das Heizungs­gesetz, das zwar gemeinsam im Kabinett auf den Weg gebracht wurde, aber dessen handwerkliche Ausarbeitung von den Koalitions­partnern öffentlich auseinandergenommen wurde. Schon zuvor hatte die Gaspreisbremse für Differenzen gesorgt, jedoch konnte man sich in Zeiten wirtschaft­lichen Wachstums auf großzügige Leistungen an die Energieversorger einigen. Nach dem Motto „Gemeinsames Leid ist halbes Leid“ fanden sich am Ende des Streits über das Heizungs­gesetz nicht nur SPD und FDP, sondern auch die Grünen von den Wählern verlassen.

War eine Wende möglich?

Seit dem Streit über das Heizungs­gesetz stehen in der Ampelkoalition kurzfristige Parteiinteressen am nächsten Wahltermin im Vordergrund, jedoch hätte man Vertrauen aufbauen können, wenn sich die drei Parteien auf eine längerfristige gemeinsame Zusammenarbeit in einer Zeit von Krisen, Kriegen und Schreckensmeldungen eingelassen hätten. Allerdings möchte sich selbst Olaf Scholz mit Blick auf ein kommendes Kanzlerduell mit der Union offensichtlich lieber als besonnene Alternative darstellen, anstatt ein Klima des gegenseitigen Vertrauens in der Ampelkoalition aufzubauen.

Warum hat der Wähler die Ampel verlassen?

Trotz aller Erfolge der drei Parteien erweckt ihr Dauerstreit den Eindruck bei Wähler*innen, dass von der Ampelkoalition die Sorgen und Nöte der Bürger*innen nicht effektiv gelöst werden. Zwar dürften die wenigsten Wähler*innen den mehr als 120-seitigen Heizungs­gesetzestext gelesen haben, aber die meisten haben sich aus dem Streit unter den Koalitions­partnern darüber eine schlechte Meinung gebildet. Von dieser Art der negativen Meinungs­bildung profitieren vor allem populistische Parteien, die eine „Sie gegen Uns“-Rhetorik pflegen und der Regierung Versagen vorwerfen. 

Wer hat schließlich Schuld?

Alle drei Parteien tragen dieselbe Schuld, auch wenn nun das Schwarze-Peter-Spiel mit Blick auf die kommenden Neuwahlen gespielt wird. Schaut man sich die Ausgangslage an, dann hatte keine der drei Parteien Anlass, Neuwahlen anzustreben. Die FDP liegt unter 5 Prozent, die Grünen kommen noch kaum als Koalitions­partner mit der Union infrage und die SPD ist weit von der Union entfernt. Dennoch wäre ein früher Wahltermin angesichts der internationalen Lage wünschenswert. Schließlich hat der im Januar ins Amt kommende amerikanische Präsident versprochen, schon in den ersten Tagen seine Agenda umsetzen zu wollen.                                                          

Prof. Dr. Rüdiger Schmitt-Beck
Seniorprofessur für Politik­wissenschaft:

Es entbehrt zwar nicht einer gewissen Ironie, dass die Ampel-Koalition das lange erwartete verfrühte Ende genau an dem Tag gefunden hat, an dem Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt worden ist. Und es ist natürlich außerordentlich misslich, dass der Beginn seiner Amtszeit in Deutschland nicht von einer funktionierenden Regierung, sondern vom vorgezogenen Wahlkampf begleitet werden wird.

Aber für die Demokratie Deutschlands ist es dennoch besser, dass die „Ampel“ sich selbst, wichtige gesellschaft­liche Sektoren und nicht zuletzt die Bürger*innen nicht noch bis zum Herbst des kommenden Jahres mit ihren inneren Konflikten und der dadurch bedingten Un­fähigkeit zu entschlossenem Handeln plagt. Nach hoffnungs­vollem Start haben die Umstände die Geschäftsgrundlage der Ampel unmittelbar nach ihrem Amtsantritt erodieren lassen. Mangelnde Fähigkeit oder Willen, Streitpunkte in vertraulicher Kompromisssuche intern zu bearbeiten, und eine ausgeprägte Neigung, stattdessen den eigenen Partikularpositionen Nachdruck zu verleihen, haben entscheidend zum Ansehensverlust der Koalition beigetragen.

Zu hoffen bleibt, dass die vorgezogene Neuwahl die Fragmentierung des deutschen Parteien­systems nicht so stark vorantreibt, dass auch dann keine dauerhaft funktionierende Regierungs­koalition gebildet werden kann. Das Beispiel Sachsens, mit dem Ausstieg des BSW aus in der Sache aussichtsreichen Koalitions­verhandlungen wegen eines die Landes­politik überhaupt nicht betreffenden Themas, muss hier Mahnung sein. Insbesondere im möglichen weiteren Erstarken der populistischen Parteien muss ein großes Risiko gesehen werden. Man kann aber spekulieren, dass dieses Risiko bei einer Wahl zum regulären Termin im nächsten Herbst noch größer wäre, weil bis dahin die Aus­wirkungen der veränderten Politik des neuen amerikanischen Präsidenten massiv spürbar geworden sein werden. Eine Vertiefung der wirtschaft­lichen Schwierigkeiten des Landes infolge amerikanischer Zollschranken oder wachsende Flüchtlingsströme aus der Ukraine, wenn diese gegenüber Russland ernsthaft in die Defensive gerät, gehören zu den Möglichkeiten, mit denen dann zu rechnen ist.

Jede der demokratischen Parteien muss sich jetzt der enormen Herausforderung stellen, gemeinsam mit den anderen demokratischen Parteien die Funktions­fähigkeit des demokratischen politischen Systems zu demonstrieren, selbst wenn sie dafür bei ihren machtpolitischen Instinkten Abstriche machen muss.

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