Martin Neugebauer
Bildungsungleichheit und Grundschulempfehlung beim Übergang auf das Gymnasium: Eine Dekomposition primärer und sekundärer Herkunftseffekte

Zeitschrift für Soziologie, 2010: 39, issue 3, pp. 202-214
ISSN: 0340-1804

In Anlehnung an die klassische Arbeit von Boudon (1974) gibt es zwei Ursachenkomplexe für soziale Bildungsungleichheit: primäre Effekte – die sich im Zusammenhang von sozialer Herkunft und Schulleistungen ausdrücken; und sekundäre Effekte – die schichtspezifische Übergangsneigungen widerspiegeln, selbst bei gleichen schulischen Leistungen. Die Abschätzung der relativen Wichtigkeit von primären und sekundären Effekten ist das Ziel einer wachsenden Anzahl internationaler Beiträge. Die vorliegende Untersuchung möchte hierzu einen Beitrag leisten, indem erstens die relative Wichtigkeit der Effekte am Übergang auf das Gymnasium in Deutschland abgeschätzt wird und zweitens untersucht wird, inwieweit die bundeslandspezifische Ausgestaltung der Grundschulempfehlung die relative Bedeutung von primären zu sekundären Effekten beeinflusst. Mit bundesweiten Längsschnittdaten des DJI Kinderpanels der Jahre 2002 bis 2005 lassen sich primäre und sekundäre Effekte durch eine neue kontrafaktische Dekompositionsanalyse zerlegen. Es wird gezeigt, dass sekundäre Effekte 59% der Bildungsungleichheit am Übergang auf das Gymnasium ausmachen. Besonders bedeutsam sind sie bei Kindern im mittleren Notenbereich. Weiterhin finden sich Hinweise, dass der relative Erklärungsbeitrag von sekundären Effekten größer ist, wenn Eltern frei entscheiden können und geringer, wenn die elterliche Wahlfreiheit durch eine verbindliche Grundschulempfehlung eingeschränkt wird. Theoretische und bildungspolitische Konsequenzen werden diskutiert.

According to Boudon’s (1974) well-known micro-theoretical model of educational transitions, the inequality in educational opportunity stems from two sources: primary effects – which are all those that are expressed by the association between social origin and academic performance; and secondary effects – which are transition propensities differing between families of different social origin – even at the same level of performance. The evaluation of the relative importance of primary and secondary effects is the aim of a growing body of literature. I contribute to this line of research by firstly evaluating the relative importance of these two effects at the transition to upper secondary school in Germany and secondly assessing whether the substantive federal state (Bundesländer) differences in the transition regulations affect the relative importance of these effects. Employing nationwide panel data (years 2002-2005) developed by the German Youth Institute (DJI), primary and secondary effects can be decomposed through counterfactual analysis. Results indicate that secondary effects are the main source of educational inequality, accounting for 59% of the total inequality. They are especially strong for children with medium (as opposed to very high or very low) grades. Furthermore, the relative importance of secondary effects tends to be higher when parents can freely choose a secondary school track, and lower when the parents’ freedom to choose is restricted because teachers decide instead of them. Theoretical and policy implications are discussed.