Die Diagnose der abnehmenden Erklärungskraft von Klassenzugehörigkeit für das Wahlverhalten wird in diesem Aufsatz in Frage gestellt. Diese Diagnose ist u.a. Folge des Umstandes, daß in den meisten Studien die benutzten Begriffe und Operationalisierungen die im Prozeß des sozialen und ökonomischen Wandels differenzierter gewordene Erwerbs- und Sozialstruktur nicht adäquat erfassen. Deshalb wird ein für die Analyse politischen Verhaltens adäquateres Klassenschema entwickelt, in dem Goldthorpes Dienstklasse in drei Segmente aufgegliedert wird: die administrative Dienstklasse, die Experten sowie professionelle und semiprofessionelle Berufe in den sozialen und kulturellen Diensten. In einer Analyse eines großen Langfristdatensatzes wird untersucht, wie sich in Deutschland der Zusammenhang zwischen sozialstruktureller Lage und Parteipräferenzen im historischen Zeitverlauf und in der Kohortenfolge gewandelt hat. Dabei zeigt sich, daß die alten Konfliktfronten der Klassenspaltung weitgehend erhalten geblieben sind und daß darüber hinaus auch die sog. Neue Politik in einem erheblichen Ausmaß eine klassenstrukturelle Grundlage besitzt. Entgegen verbreiteten Annahmen finden sich keine Hinweise darauf, daß die Ausbreitung postmaterialistischer Wertorentierungen die klassenstrukturelle Basis des Wahlverhaltens geschwächt hat.