Beate Kohler-Koch
Regieren in der Europäischen Union: Auf der Suche nach demokratischer Legitimität

Aus Politik und Zeitgeschichte, 2000: issue 6, pp. 30-38

Die für dieses Jahr angesetzte Regierungskonferenz soll eine Vereinbarung über institutionelle Reformen bringen, mit denen sichergestellt wird, dass die mit zusätzlichen Aufgaben betraute und künftig um viele Mitglieder erweiterte EU regierungsfähig bleibt. Es geht hier um Verfassungspolitik, und folglich sollte wie bei jeder Verfassungsreform geprüft werden, ob die Weichen im Sinne demokratischer Legitimität richtig gestellt sind. Die These dieses Beitrags ist, dass Regierungskonferenzen nur ein Mosaikstein in der europäischen Verfassungsentwicklung sind und dass normative Leitlinien von politischen Interessen und institutionellen Mythen geprägt sind. Eine vorausschauende Verfassungspolitik sollte also im Blick behalten, welches die dominanten Interessen sind und wie die institutionellen Reformen durch politische Praxis verändert werden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Weichen sind in Richtung Zentralisierung gestellt und bringen die EU dem Ziel der demokratischen Legitimität nicht näher. Zur Korrektur wird vorgeschlagen, an der institutionellen Eigendynamik der EU anzusetzen und den eingebauten Zentralisierungstrend zu kanalisieren. Des weiteren wird gefordert, dass die institutionellen Reformen die Funktionsfähigkeit des bestehenden supranationalen Konsenssystems stärken sollten, statt falschen Verfassungsanalogien Tribut zu zollen. Schließlich werden neue Wege vorgeschlagen, um die Rolle des Bürgers in der europäischen Politik zu stärken und damit einen Schritt in Richtung demokratischer Legitimität zu ermöglichen.