Johannes Berger
Sind Märkte gerecht?

Zeitschrift für Soziologie, 2003: 32, issue 6, pp. 462-473

Während die öffentliche Meinung dazu neigt, die Einkommensverteilung in Marktwirtschaften für um so ungerechter zu halten, je mehr uneingeschränkter Wettbewerb herrscht, enthält sich die ökonomische Theorie des Wettbewerbs in der Regel jeglicher Aussagen über die Gerechtigkeit von Marktergebnissen und beschränkt sich auf die Behauptung, der Wettbewerb sei effizient. Der Aufsatz möchte zeigen, daß die Enthaltung von Urteilen über die Gerechtigkeit von Marktergebnissen dann unbegründet ist, wenn man unter Gerechtigkeit die Gleichheit von Ertragsraten versteht. Die Konkurrenz auf Märkten führt dazu, daß die Ertragsraten aller Kapitalanlagen, inklusive der Investitionen in Humankapital, sich angleichen. Wenn dies richtig gesehen ist, dann sind die Ursachen der Ungleichheit nicht in der vollständigen Konkurrenz, sondern entweder außerhalb des Markts in den ungleichen Anfangsausstattungen der Marktteilnehmer oder in Marktunvollkommenheiten zu suchen. Eine Schlußfolgerung hieraus lautet, daß die Stärkung der Wettbewerbskräfte keineswegs zwingend zu mehr Ungleichheit führen muß, sondern womöglich mehr Gleichheit, verstanden als Gleichheit der Ertragsraten, impliziert.

Whereas public opinion is inclined to consider income distribution in market economies all the more inequitable, the more unlimited competition prevails, the economic theory of free competition, in contrast, refrains from any judgment of the equity of market outcomes and confines itselfto concerns about the efficiency of competitive markets. This paper argues that such abstinence is unfounded if one interprets equity as equality of rates of return. Free competition insures that the rates of return of all assets including human capital will equalize. If this is correct, inequality is not caused by perfect competition but is due either to market imperfections or to forces outside the market which lead to the unequal initial conditions of market participants. As a consequence, strengthening the forces of competition may not entail greater inequity but greater equity if this means greater equality of the rates of return.