Parlamentswahlen markieren oft eine Zäsur in der Geschichte europäischer Demokratien, ein Regierungsmandat für eine einzelne Mehrheitspartei ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Tatsächlich wird die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung in den allermeisten Fällen durch anschließende Verhandlungen zwischen den politischen Parteien bestimmt, und die Regierungsbildung erweist sich in diesem Kontext oftmals als mühsamer und langwieriger Prozess. Während die bestehende Forschung einige wichtige Erklärungsfaktoren für längere Phasen der Regierungsbildung aufzeigt, wissen wir noch vergleichsweise wenig über die Folgen von langwierigen Koalitionsverhandlungen für die Einstellungen und Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger. Gleichzeitig deuten jedoch normative Theorien der politischen Repräsentation sowie empirische Arbeiten zu deren wirtschaftlichen Auswirkungen darauf hin, dass langwierige Koalitionsverhandlungen ein potentiell folgenschweres Phänomen sind.
Dieses Projekt erweitert unser Verständnis dieses Phänomens und widmet sich drei übergeordneten Fragestellungen. Erstens untersucht es, wie sich langwierige Koalitionsverhandlungen auf die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für das politische System auswirken und inwieweit schnelle und reibungslose Koalitionsgespräche andere Reaktionen hervorrufen, als langwierige Verhandlungen zwischen den Parteien. Zweitens widmet sich das Projekt der Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger bestimmte politische Parteien für die Blockade der Verhandlungen bei den folgenden Wahlen abstrafen. Schließlich wird analysiert, ob die Art und Weise, wie politische Parteien während der Regierungsbildung kommunizieren, die möglichen negativen Auswirkungen langer Koalitionsverhandlungen abmildert und ob die Parteien in der Lage sind, die öffentliche Wahrnehmung der Verhandlungen maßgeblich zu ihren Gunsten beeinflussen.
Die Erforschung dieser Fragen ist auch über das unmittelbare Phänomen langwieriger Koalitionsverhandlungen politisch und gesellschaftlich relevant. So könnte die drohende Abstrafung politischer Parteien für das Verlassen des Verhandlungstisches durch die Bürgerinnen und Bürger erklären, warum Parteien oftmals auch anscheinend nachteilige Koalitionsvereinbarungen akzeptieren. Darüber hinaus bietet die Untersuchung dieser Forschungsfragen wichtige Einsichten zu Kernthemen der demokratischen Regierungsführung. Tatsächlich könnten (wiederholt) ergebnislose Verhandlungen, gemeinsam mit der zunehmenden Unterstützung für systemfeindliche und extremistische Parteien und die daraus resultierende Fragmentierung des Parteiensystems die Zustimmung der Bevölkerung für das parlamentarische System sukzessive untergraben. Schließlich lassen sich aus den im Projekt gewonnenen Erkenntnissen konkrete Handlungsempfehlungen für die Kommunikationsstrategien politischer Parteien während langwieriger Koalitionsverhandlungen ableiten.