Europa im Kontext
Gemeinden gelten gemeinhin als „Schule der Demokratie“. Weil die räumliche Nähe intensivere Kontakte mit Politikern ermöglicht, mehr Möglichkeiten der Beteiligung bietet und eine größere Vertrautheit mit dem politischen Prozess erlaubt, trägt die lokale Ebene dazu bei, die Legitimität des politischen Systems zu stärken und das Vertrauen in die Demokratie zu fördern. Aus diesem Grund sollen Gemeinden positive Effekte auf die politischen Orientierungen der Bürger haben. Diese plausible These und weitverbreitete Argumentation wird allerdings nur selten empirisch überprüft. Deshalb untersuchte die Studie „Europa im Kontext“ den Einfluss individueller Merkmale und des lokalen Kontexts auf politische Orientierungen. Dabei war es ein wesentliches Anliegen zu klären, welche Bedeutung der lokale Kontext für politische Orientierungen hat und wie mögliche wechselseitige Abhängigkeiten und Beeinflussungen von individuellen und kontextuellen Merkmalen zustande kommen. Ein besonderer Fokus der Studie lag dabei auf dem Einfluss des lokalen Umfelds auf europäische Orientierungen. Für die empirischen Analysen wurden in 28 zufällig ausgewählten Gemeinden insgesamt über 12.000 Bürger befragt. Außerdem fanden in diesen Gemeinden eine Befragung der Kommunalpolitiker sowie eine umfangreiche Sammlung von statistischen Informationen zur politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation in diesen Kommunen statt. Die Individual- und Kontextdaten wurden in Mehrebenenanalysen zusammengeführt. Das zentrale Ergebnis des Forschungsprojekts ist, dass das lokale Umfeld nur einen äußerst geringen Einfluss auf politische Orientierungen und Verhaltensweisen hat. Dieses Ergebnis ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Rahmenbedingungen für den Nachweis kontextueller Effekte in dieser Studie aus mehreren Gründen besonders günstig waren (z.B. explizite Betrachtung des lokalen Umfelds, große Unterschiede der ausgewählten Gemeinden). Eine plausible Erklärung für diesen Befund sind Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse. Die modernen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, die Mobilität der Menschen oder auch die wechselnde Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen an verschiedenen Orten schwächen mögliche kontextuelle Effekte des lokalen Umfelds ab. Bei fortschreitender Globalisierung und Europäisierung wird sich der Einfluss des lokalen Umfelds auf politische Orientierungen vermutlich weiter verringern.