Integration durch wirtschaftliche Netzwerke

Fragestellung/Ziel: 

Konkurrierende Eliten mögen sich auf formale Organisationen stützen, um ihre Interessen durchzusetzen, kollektives Handeln zu ermöglichen und Unterstützer zu mobilisieren. Politische Parteien sind beispielhaft. Was aber sind die Alternativen, die kollektives Handeln ermöglichen, wenn politische Parteien und ähnliche formale Organisationen nicht existieren oder aber nicht zugänglich sind? Dieses Projekt untersucht, inwieweit wirtschaftliche Netzwerke alternative Grundlagen der Organisation bieten.

Das Projekt untersucht diese Frage anhand von zwei ausgewählten historischen Fällen. Die erste Fallstudie betrifft die Abschaffung des Sklavenhandels. Anhand des beispielhaften Handelshafens Bristol zeigt unsere Studie, dass den Sklavenhändlern eine organisatorische Plattform fehlte, um ihre wirtschaftlichen Interessen in politischen Einfluss zu übersetzen. Die Ergebnisse unserer Analyse der Handelsnetzwerke Bristols über einen Zeitraum von über hundert Jahren (1698-1807) zeigen, dass die Society of Merchant Venturers als eine solche politische Organisation hätte dienen können. Allerdings vertrat diese Handelsgesellschaft einzig die Interessen einer geschlossenen Elite. Hohe Zugangsbarrieren hinderten die Sklavenhändler daran, die Society als Organisation für ihre politische Mobilisierung zu nutzen. Zudem hing der Zusammenhalt unter den Sklavenhändlern von zentral positionierten Brokern ab. Diese Broker waren regelmäßig genau die Sklavenhändler, die den Aufstieg in die Elite schafften und Mitglieder der Society wurden. Nach dem Aufstieg zogen sie sich freilich regelmäßig aus dem Sklavenhandel zurück. Das Ergebnis dieses Rückzuges war ein fragmentiertes Netzwerk, das gemeinsame politische Anstrengungen der Sklavenhändler verhinderte.

Die zweite Fallstudie untersucht, wie Geschäftspartnerschaften Mitglieder sehr unterschiedlicher Elitenfraktionen zusammenführen und damit Spaltungen überbrücken können. Den Kern bildet eine quantitative historische Netzwerkanalyse der Eliten in Saint-Malo, einer der bedeutendsten Handelshäfen Frankreichs im Zeitalter des Merkantilismus. In Kriegszeiten wurde Saint-Malo zu einem Zentrum der Freibeuterei – d.h. staatlich sanktionierter und geförderter Überfälle auf feindliche Handelsschiffe. Unsere Studie zeigt, dass die Geschäftspartnerschaften, die solchen Kaperfahrten zugrunde liegen, als “Linchpin Organizations” wirken. Mit dieser Bezeichnung meinen wir Organisationen, die Akteure aus den verschiedensten sozio-ökonomischen Hintergründen innerhalb einer gemeinsamen Unternehmung zusammenführen. Eine nicht unbedingt beabsichtigte Folge war, dass diese gemeinsamen Unternehmungen die Integration konkurrierender Elitenfraktionen beförderten. Quantitative Ergebnisse, die diese Interpretation stützen, basieren auf Archivdaten zu mehr als 3.000 Partnerschaftsverträgen, zu den Einwohnern von Saint-Malo und ihren Beziehungen untereinander (Steuerregister sowie Daten über Verwandtschaftsnetzwerke) und Informationen über die Besetzung politischen Ämter über einen Zeitraum von hundert Jahren (1681-1791).

Fact sheet

Finanzierung: 
Universität Mannheim
Laufzeit: 
2011 bis 2015
Status: 
beendet
Datenart: 
Längsschnitt Netzwerkdaten aus Archiven und veröffentlichten Quellen
Geographischer Raum: 
Europa (Großbritannien, Frankreich, Russland)

Veröffentlichungen