Integrationsforschung 2.0 – Über die Nutzung neuer Datenquellen zur Erforschung des Verhaltens und der Einstellungen von Migrant*innen und Einheimischen
Um die Einschränkungen traditioneller Befragungsdaten zu überwinden, nutzen Sozialwissenschaftler*innen in letzter Zeit vermehrt neue Datenformen und neuartige Ansätze zur Datenerhebung, die schnellere, häufigere und möglicherweise genauere Informationen für die sozialwissenschaftliche Forschung im Allgemeinen und Studien zu Immigration und Integration im Besonderen versprechen. Ziel dieses von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Projekts war es, drei Arten von neuen Datenquellen zu untersuchen: (1) passiv gesammelte Daten von Smartphone-Sensoren und Apps, (2) aggregierte Internet-Suchanfragen und (3) Antworten aus Wahlentscheidungshilfen (voting advice applications, VAAs).
Für jeden der drei Ansätze haben wir eine systematische Analyse der vorhandenen Literatur durchgeführt und deren Vorteile und Grenzen diskutiert. Darüber hinaus haben wir Best-Practice-Beispiele vorgestellt und Richtlinien für zukünftige Forschung in diesen Bereichen erarbeitet . Wir konnten 41 Studien identifizieren, die Smartphones zur Datenerhebung im Kontext der Migrations- und Integrationsforschung nutzen. In der Auswertung ist ein erhebliches Problem der passiven Datenerfassung deutlich geworden, nämlich die Bedenken im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit. Diese Bedenken können zu niedrigen Teilnahmequoten und fehlenden Daten führen. Im Bereich Google Trends haben wir 360 sozialwissenschaftliche Studien untersucht , die von 2010 bis 2021 veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die große Mehrheit der Studien es versäumt, die interne Validität der Google Trends-Kennzahlen zu prüfen, die Frage der Konsistenz von Daten über Stichproben hinweg unberücksichtigt lässt und die (fehlende) Generalisierbarkeit nicht problematisiert. Ebenso haben wir 175 VAA-Studien untersucht und mehrere mögliche Anwendungsbereiche für die zukünftige Forschung identifiziert, z.B. im Bereich der politischen Information von Migrant*innen. Des Weiteren haben wir wichtige methodische Probleme herausgearbeitet, welche die externe Validität der vorhandenen Ergebnisse aufgrund der Freiwilligkeit der Teilnahme an VAA-Studien einschränken.
Darüber hinaus haben wir in den systematischen Überprüfungen an zwei Problemen gearbeitet. Zum einen haben wir einen systematischen Ansatz zur Auswahl und Validierung von Suchbegriffen aus Google Trends entwickelt, um fremdenfeindliche Einstellungen zu messen. Die Ergebnisse für Deutschland zeigen, dass aus einer langen Liste potenzieller Suchbegriffe nur sehr wenige Begriffe die Schritte der internen Validierung bestehen. Dieser Befund macht uns daher skeptisch gegenüber der Messung von Einstellungen im Allgemeinen und fremdenfeindlichen Einstellungen im Besonderen mit Google Trends. Zum anderen haben wir ein Experiment durchgeführt, um die Wirkung der Ergebnis-Rückmeldung in einer VAA auf die Antworten der Teilnehmenden im Vergleich zu einer herkömmlichen Umfrage zu messen. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Feedback-Mechanismus die Antworten selbst nicht verändert, lassen aber die Möglichkeit offen, dass der Feedback-Mechanismus die Zusammensetzung der Stichprobe verändern könnte.