Steuerpolitik in der EU im Umfeld neuer Fiskalinstitutionen und Abstimmungsverfahren
Dieses Projekt befasste sich mit den Auswirkungen des Reformvertrages von Lissabon und der Staatsschuldenkrise im Euroraum auf die Steuerpolitik der EU. Erstens wurde der Frage nachgegangen, ob eine Ausdehnung der Gesetzgebung aufgrund von Themenverknüpfung erfolgte. Zweitens stand die Frage im Raum, ob die Kreditkonditionalität beim Euro-Rettungsschirm und die Anforderungen des Fiskalpaktes Reformdruck auslösten. Drittens wurde eine Verlagerung zu Rechtsakten vermutet, welche ausschließlich die EU-Kommission erlässt. Viertens sollte geklärt werden, ob sich die Umsetzung der Gesetzgebung in nationales Recht infolge einer Nutzung des Euro-Rettungsschirmes ändert.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde der gesamte Prozess in der EU-Steuerpolitik untersucht. Dieser Politikprozess erstreckt sich vom Arbeitsprogramm der EU-Kommission über vorbereitende Rechtsakte wie Kommissionsvorschläge, die vom Rat oder der Kommission verabschiedete Gesetzgebung bis hin zur Transposition des Gemeinschaftsrechts auf der nationalen Ebene, wie sie zumindest bei Richtlinien erforderlich ist. Eine quantitative Auswertung der Prozessmerkmale verlangte eine vollständige Text- und Datenextraktion von Kommissionsdokumenten, Gesetzgebungsverläufen, Rechtsakten sowie Umsetzungsmaßnahmen. Weiterhin erforderte die Abschätzung des politischen Gestaltungsspielraums eine Bestimmung der politikbereichsspezifischen Akteurskonfigurationen und die Erfassung der institutionellen Rahmenbedingungen. Schließlich wurde eine zeitliche Trennung der Aktivitäten vor und nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon bzw. vor und nach dem Beginn der Staatsschuldenkrise vorgenommen.
Den Untersuchungsergebnissen zufolge besitzen Rechtsakte des Rates im Bereich der direkten Steuern auch nach der Zäsur von 2009 lediglich eine marginale Bedeutung. Angesichts erfolgloser Kommissionsvorschläge wird deutlich, dass die ausbleibende Dynamik insbesondere mit der Interessenvielfalt im Rat zusammenhängt. Eine Themenverknüpfung hat nach dem Vertrag von Lissabon bislang ebenso wenig stattgefunden wie ein Durchbruch aufgrund der Euro-Rettungspolitik. Dafür scheint die Kommission ausgehend von ihren Kompetenzen in der Wettbewerbspolitik verstärkt indirekten Einfluss auszuüben. Die Analyse der Transposition führt zu einem gemischten Bild. Zwar haben sich die Umsetzungsaktivitäten in Krisenländern insgesamt beschleunigt. Allerdings stehen sich bei der inhaltlichen Implementationsleistung Griechenland (zurückgefallen) und Irland (reformorientiert) diametral gegenüber. Deshalb dürfte weniger von einem „Management”- als von einem „Enforcement”-Problem auszugehen sein.