Wie nehmen wir Menschen wahr, die mit Akzent sprechen? Mannheimer Sozialpsychologin Dr. Janin Rössel mit Lorenz-von-Stein-Preis ausgezeichnet
Fremdsprachige Akzente begegnen uns alltäglich – sei es im Arbeitsleben, beim Einkaufen oder auf der Straße. Bisherige Forschung zeigt, dass diese Akzente starke Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber was lösen sie eigentlich in uns aus? Die Sozialpsychologin Dr. Janin Rössel hat dieses relativ wenig erforschte Thema in ihrer Dissertation untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass fremdsprachige Akzente allgemein spontan negative Reaktionen in uns auslösen. Dabei haben die meisten Menschen keineswegs die Absicht, sich von Vorurteilen leiten zu lassen.
Die Lorenz-von-Stein-Gesellschaft e.V. zeichnet Janin Rössel heute für die beste sozialwissenschaftliche Dissertation des vergangenen Jahres an der Universität Mannheim aus. Die Fördergesellschaft des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) prämiert seit 1999 jährlich eine Doktorarbeit aus den Fächern Politikwissenschaft, Sozialpsychologie oder Soziologie. Der Lorenz-von-Stein-Preis ist mit 1.000 Euro dotiert.
Ob Französisch oder Türkisch ist egal
Bisher dominierte in der Forschung die Sichtweise, dass fremdsprachige Akzente – je nach dem, wo wir die Herkunft verorten – in uns gruppenspezifische Stereotype auslösen: So gilt beispielsweise ein französischer Akzent als relativ beliebt, während russische oder türkische Akzente angeblich größere Vorbehalte in uns wecken. Rössel weist hingegen auf grundlegendere Reaktionen hin. Für ihre Doktorarbeit hat sie Testpersonen unter anderem Aufnahmen in akzentfreiem Deutsch, sowie mit französischem, italienischem, türkischem und russischem Akzent vorgespielt: "Es zeigte sich, dass die spontanen Reaktionen auf einen fremdsprachigen Akzent im Vergleich zu akzentfreier Sprache stets ganz allgemein negativ sind. Das gilt für den beliebten französischen Akzent ebenso wie für die negativ konnotierten Akzente Russisch oder Türkisch", erklärt Rössel.
Die mit den Akzenten eventuell verbundenen Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen kämen demnach in der ersten spontanen Reaktion gar nicht zum Tragen, so die Psychologin. Auch können wir den Akzent eines Gesprächspartners auf Anhieb oft gar nicht korrekt einer bestimmten Muttersprache zuordnen. Für unsere allererste Reaktion ist die spezifische Gruppenzugehörigkeit des Gegenübers demnach also nicht entscheidend.
Die Abwertung erfolgt meist unwillkürlich
Doch warum reagieren wir offenbar grundsätzlich negativ auf fremdsprachige Akzente? Janin Rössel: "Wenn jemand mit Akzent spricht, dann löst das in uns unwillkürlich Gefühle und bestimmte Assoziationen aus. Wir bemerken sofort die Fremd- oder Andersartigkeit beim Sprechen. Auch das Gefühl der Disfluenz, also einer schwierigeren Verarbeitung, setzt meist unweigerlich ein. Meine Untersuchungen zeigen, dass wir Akzentsprechende tendenziell als weniger kompetent einstufen – auch wenn die Personen sich grammatikalisch vollkommen korrekt ausdrücken." Die Psychologin betont, dass die Abwertung von akzentsprechenden Personen in der Regel nicht beabsichtigt sei. "Die meisten Menschen in unseren Stichproben wollen nicht vorurteilsbehaftet urteilen. Das ist grundsätzlich erfreulich. Wir sollten uns aber immer wieder bewusst machen, dass spontane negative Gefühle und Assoziationen unsere Wahrnehmung und unser Verhalten dennoch beeinflussen können."
Methodisch ausgefeilte Studien machen auch verborgene Reaktionen messbar
In ihrer mit der Bestnote "summa cum laude" bewerteten Arbeit bediente sich Rössel beispielsweise des in der Psychologie weit verbreiteten Impliziten Assoziationstests, kurz IAT. Beim IAT können Personen am Computer mittels Tastendruck innerhalb kürzester Zeit Reize kategorisieren, indem sie diese beispielsweise als positiv oder negativ einordnen. "Von Vorteil ist, dass die Teilnehmenden bei diesem Test gar nicht die Zeit haben, andere Antworten zu geben, als es ihren spontanen und unwillkürlichen Reaktionen entspricht", erklärt Rössel.
Diese Testreihen sind freilich nur ein Teil der umfassenden Untersuchungen von Janin Rössel, so der Vorsitzende der Lorenz-von-Stein-Gesellschaft, Professor Thomas Gschwend. "Janin Rössel hat für ihre Dissertation eine ganze Reihe methodisch höchst ausgefeilter Studien durchgeführt und daraus ein Modell entwickelt, das bisherige Widersprüche in der Forschung erklärt und auflöst." Die Befunde besäßen zudem eine hohe Alltagsrelevanz im Kontext einer globalisierten Welt, betont Gschwend. Insgesamt sei die von der Mannheimer Sozialpsychologin Professor Dagmar Stahlberg betreute Arbeit Rössels beispielhaft für die Mannheimer Sozialwissenschaften. "Die Jury war sich daher einig, dass Janin Rössels Arbeit des Lorenz-von-Stein-Preises absolut würdig ist", so Gschwend.
Weitere Informationen und Kontakt:
Titel der Arbeit:
How Does it Matter How You Pronounce it? Shedding New Light on Nonnative Accent Perception and Evaluations of Nonnative Accented Speakers
Zugrundeliegende Veröffentlichungen:
Roessel, J., Schoel, C., & Stahlberg, D. (2018). Prejudice against Nonnative-Accented Speakers – Not So Overt After All? Implications for Theory and Research. Manuscript in preparation.
Roessel, J., Schoel, C., & Stahlberg, D. (2018). What's in an accent? General spontaneous biases against nonnative accents - An investigation with conceptual and auditory IATs. European Journal of Social Psychology, 48, 535–550. doi:10.1002/ejsp.2339
Roessel, J., Schoel, C., Zimmermann, R., & Stahlberg, D. (2017). Shedding new light on the evaluation of accented speakers: Basic mechanisms behind nonnative listeners' evaluations of nonnative accented job candidates. Journal of Language and Social Psychology. Advance online publication. doi:10.1177/0261927X17747904
Dr. Janin Rössel
Universität Mannheim
Lehrstuhl für Sozialpsychologie
Tel.: +49 (0)621 181-3504
Fax: +49 (0)621 181-2038
jaroesse [at] mail.uni-mannheim.de
http://lssozpsych.sowi.uni-mannheim.de/team/dr_janin_roessel/
Prof. Thomas Gschwend, PhD
Vorsitzender d. Lorenz-von-Stein-Gesellschaft e.V.
Universität Mannheim
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Tel: +49-621-181-2087
Fax: +49-621-181-2845
gschwend [at] uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de/lvs
(Pressemitteilung Universität Mannheim, 28.06.2018)