Zur Person: Der Sozialwissenschaftler Lorenz von Stein

Bild von Lorenz von Stein

Lorenz von Stein (1815-1890) war einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Er studierte Rechtswissenschaft und Philosophie, arbeitete einige Jahre als freier Journalist, war Professor für Nationalökonomie an der Universität Wien und selbst als Unternehmer aktiv.

Steins komparative Studien und systematischen Analysen der sozialen und politischen Verhältnisse in Frankreich, die er während eines längeren Aufenthalts in Paris durchführte, mündeten in seinen ersten größeren Veröffentlichungen "Der Sozialismus und Kommunismus im heutigen Frankreich" (1842) und "Die Geschichte der sozialen Bewegung Frankreichs von 1789 bis auf unsere Tage" (1850). Diese Studien, die in späteren Auflagen beständig erweitert wurden, beschränken sich jedoch nicht auf die Deskription der französischen Gesellschaftsgeschichte. Vielmehr entwickelt von Stein auf Basis seiner empirisch-vergleichenden Analysen eine theoretische Konzeption über die Struktur der entstehenden modernen Gesellschaft.

In liberaler Tradition stehend, plädiert von Stein für eine evolutionäre Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, in der die persönliche Freiheit der Menschen zu verwirklichen sei.

Er sieht einerseits im eigennützigen Interesse von Individuen die Triebfeder einer progressiven und prospektiven Entwicklung und erkennt andererseits in der, an den Besitz gesellschaft-licher Güter gebundenen, Herrschaftsgewalt in Gesellschaft und Staat die Ursache der sozialen und politischen Ungleichheiten. Nach von Stein verliert die politische und gesellschaftliche Herrschaft ihre Legitimation, wenn sie nicht dem einzelnen die Chance individueller Entfaltung bietet und auf Basis des Leistungsprinzips die Möglichkeit sozialer Mobilität gewährt.

Soziale Reformen sollen nach Steins Auffassung die Unfreiheit beseitigen und die im 19. Jahrhundert drängende soziale Frage lösen. In seinen Ausführungen dazu finden sich starke Affinitäten zur Sozialstaatlichkeit moderner Wohlfahrtsstaaten (sozialstaatliche Daseinsvorsorge, allgemeines Wahlrecht, allgemeine Bildung etc.).

Seine soziologischen Analysen machten von Stein zu einem der Gründungsväter der Soziologie. Darüber hinaus befaßte er sich intensiv mit Problemen der Politischen Wissenschaft, Staatsrechtlehre und Nationalökonomie. Er beherrschte den Gesamtbereich der Sozialwissenschaften, wobei sein methodischer Ansatz, die Realität zu betrachten und erst daraus (theoretisch geleitete) Schlußfolgerungen abzuleiten, ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Sozialwissenschaften als Erfahrungswissenschaften war.

Wegen seiner empirisch-vergleichenden und interdisziplinären Ausrichtung lag es nahe, eine Gesellschaft nach seinem Namen zu benennen, deren erklärtes Ziel es war und ist, den fachspezifischen Rahmen nur einer Disziplin zu sprengen, um in interdisziplinärer Kooperation der empirisch fundierten wissenschaftlichen Wahrheit näher zu kommen.