Parteien und ihre Repräsentanten streben im politischen Entscheidungsprozess nicht nur nach der Maximierung ihres Stimmenanteils, sondern auch danach, in der Exekutive möglichst viele Ämter zu besetzen, um so ein Maximum ihrer inhaltlichen Forderungen zu implementieren. Zur Erreichung dieser Ziele wenden Parteien eine Reihe von Mechanismen in ihren Wahlkämpfen an, zu denen unter anderem auch die Etablierung eines spezifischen programmatischen Angebots an die Wählerschaft zählt. Bestehende Forschung zeigt, dass zum einen Parteien zwar weitgehend stabile Positionen zu zentralen Sachfragen einnehmen, diese aber in Abhängigkeit der Präferenzverteilung innerhalb des Elektorats im Zeitverlauf verschieben. Gleichzeitig wissen wir, dass die programmatischen Profile der Parteien ein zentrales Element in der Erklärung der Koalitionsbildungsprozesse darstellen sowie eine wichtige Rolle dafür spielen, wie stabil eine Mehrparteienregierung im Verlauf einer Legislaturperiode ist. Dieser Beitrag untersucht mit Hilfe des „Political Heart“-Modells und auf der Grundlage der Daten des Open Expert Survey, in dem die programmatischen Profile der Parteien zur Bundestagswahl 2021 erhoben wurden, die Regierungsbildung auf Bundesebene und identifiziert mögliche Konfliktfelder für die zustande gekommene Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten, die diese destabilisieren könnten. Letzteres geschieht auch vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, der die auf eine progressive Gesellschaftspolitik ausgerichtete Politik der „Ampelkoalition“ in den Hintergrund rücken und Themenfelder wie Verteidigungs- und Außenpolitik, Migration, Finanzen, Energie und Klimaschutz zentral werden ließ. Damit wurden solche Politikfelder von hoher Relevanz für das tagespolitische Handeln, in denen es – im Gegensatz zur Gesellschaftspolitik – große Unterschiede zwischen den drei Regierungsparteien gibt. Die Ergebnisse zeigen, dass keine große Gefahr der Destabilisierung der Ampelkoalition aufgrund der neuen Themenlage besteht, da die programmatische Parteienkonstellation keine mehrheitsfähigen und gewünschten Alternativen auch bei Berücksichtigung salienter Politikfelder wie Migrations-, Außen- und Klimapolitik zulässt.