Obwohl soziale Ungleichheit ein zentrales Forschungsgebiet der Soziologie darstellt, sieht es nicht danach aus, als verfüge das Fach über eine schlüssige und allseits anerkannte Theorie, die erklärt, warum es Ungleichheit gibt. Insbesondere fehlt es an einer Theorie der Einkommensungleichheit in Marktwirtschaften. Rousseaus "Discours sur l´inegalité" steht am Anfang einer kontroversen Diskussion. Auch wenn Rousseaus Abhandlung sich über weite Strecken in Rhetorik erschöpft, enthält sie zwei wichtige Fingerzeige für die Beantwortung der Frage nach dem Ursprung der Ungleichheit. Sie entsteht zum einen durch Abweichungen von einem ursprünglichen Zustand der Gleichheit; diese Abweichungen beruhen zum anderen auf "Landnahme", d.h. der Monopolisierung eines nicht beliebig vermehrbaren Produktionsfaktors. Diese beiden Ideen aufgreifend möchte der Aufsatz zeigen, daß Entlohnungsunterschiede in Marktwirtschaften sich ausschließlich aus Wettbewerbsbeschränkungen ergeben. Im Konkurrenzgleichgewicht gibt es keine Entlohnungs-, sondern allenfalls Ausstattungsunterschiede. Die vollständige Konkurrenz würde differentielle Faktorentlohnungen eliminieren und sicherstellen, daß die Erträge strikt proportional zu den Investitionen sind. Wettbewerbsbeschränkungen hingegen bilden die Grundlage für die Zahlung ökonomischer Renten an den von der Marktschließung begünstigten Personenkreis. Solche Renteneinkünfte, d.h. Zahlungen über den Betrag hinaus, der erforderlich ist, die Abwanderung von Produktionsfaktoren in eine andere Verwendung zu verhindern, bedingen eine strukturelle, also nicht lediglich auf individuellen Qualifikationsunterschieden fußende Einkommensungleichheit.