Thomas König, Thomas Brechtel
Vom Korporatismus zum Etatismus? Ein Vergleich der arbeits- und sozialpolitischen Vermittlungsstrukturen vor und nach der Vereinigung

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1997: 4, pp. 702-727

Nach dem Vorbild der konzertierten Aktion der 70er Jahre versucht die Bundesregierung, ihre Arbeits- und Sozialpolitik mit den Spitzen der Arbeitgeber und -nehmer in einem Bündnis für Arbeit abzustimmen. Die Erfolgsaussichten des Bündnis für Arbeit können als hoch eingestuft werden, wenn eine korporatistische Interessenvermittlungsstruktur mit Spitzenorganisationen auf der Arbeitgeber-, der Arbeitnehmer- und der Regierungsseite vorliegt. Im folgenden Beitrag vergleichen wir die arbeits- und sozialpolitische Interessenvermittlungsstruktur vor und nach der Vereinigung, indem wir die Beziehungen der jeweils mehr als 100 relevanten Organisationen der Arbeits- und Sozialpolitik analysieren. Die Ergebnisse zeigen, daß vor der deutschen Vereinigung eine Struktur nach dem Muster der korporatistischen Interessenvermittlung vorlag, welche nach der deutschen Vereinigung eher einem etatistischen Muster entspricht. In der aktuellen politischen Situation dominieren die Verwaltungsakteure sehr stark den Zugang zu den politischen Akteuren der Arbeits- und Sozialpolitik. Gleichzeitig haben die Spitzenvertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft die Kontrolle über die Mitglieder ihrer funktionalen Sektoren verloren. Weil weder die Regierung noch Spitzenvertretungen von Kapital und Arbeit derzeit in der Lage sind, eine herausragende Position in ihrem jeweiligen funktionalen Sektor einzunehmen, ist nicht mit einem erfolgreichen Bündnis für Arbeit zu rechnen.

Following the "Konzertierte Aktion" of the 1970s German government intends to coordinate its labor policy by establishing an "Alliance for Labor" between government, employers and employees. However, a success of the Alliance for Labor presupposes a corporatist pattern of interest mediation consisting of peak organizations of the governmental, employer and employee sector. In this paper the pattern of labor interest mediation before and after unification is analyzed when comparing the relationships of more than 100 relevant labor organizations. The main results indicate a pattern of corporatist before and of etatist interest mediation after German unification. Due to the present political situation of different party majorities in the Bundestag and Bundesrat, administrative actors control the access channels to Labor policy makers. At the same time, employee and employer peak organizations lost their monopolies of sector representation. Since neither governmental actors nor private organizations are able to dominate their functional sector, we do not expect a successful "Alliance for Labor" after unification.