Im Herbst 2014 begann für die AfD eine bis heute anhaltende Serie von Wahlerfolgen auf Landesebene. Anderthalb Jahre nach ihrer Gründung gelang ihr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen auf Anhieb der Einzug in alle drei Landtage. Dort endet nun erstmals eine Legislaturperiode, die von AfD-Abgeordneten mitgeprägt wurde. Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick auf den Alltag in den drei Landtagen seit dem Einzug der AfD. Dazu haben wir uns - computergestützt - durch alle 1342 Parlamentsprotokolle gewühlt, die seit Beginn der 3. Wahlperiode in den drei Landtagen erstellt wurden. Dank der Arbeit der Landtagsstenografen enthalten sie praktisch jede vernehmbare Äußerung im Plenarsaal. Diese Informationen analysieren wir mit Hilfe textanalytischer Verfahren und zeichnen ein komprimiertes Bild über die Atmosphäre in den Landtagen seit dem Einzug der AfD.
Katharina Brunner, Sabrina Ebitsch, Sebastian Gierke und Martina Schories haben in der Süddeutschen Zeitung eine ähnliche Analyse mit Blick auf den Bundestag vorgelegt und wir machen uns hier einige ihrer empirischen Perspektiven zu Eigen.
Der Parlamentsalltag bietet eine vielfältige Geräuschkulisse. Fraktionen spenden Beifall, Abgeordnete rufen dazwischen oder lachen, und gelegentlich macht sich allgemeine Heiterkeit oder Unruhe im Plenum breit. Die Stenographen hören und sehen genau hin und dokumentieren das Geschehen oftmals sogar mit Nennung einzelner Abgeordneter. Beispielsweise vermerkt das Protokoll der 19. Sitzung im Brandenburger Landtag am Schluss der Rede des CDU-Abgeordneten Gordon Hoffmann: “(Anhaltender Beifall CDU, SPD, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE - Zuruf von der AfD: Blockflöten! - Dr . Gauland [AfD]: Sehen das die Wähler der CDU auch so? - Zurufe von der CDU: Ja!)”. Aus diesem Vermerk ergeben sich sieben Aktionen: Jeweils Beifall von CDU, SPD, Linken und Grünen, zwei Zwischenrufe von der AfD und einer von der CDU. Insgesamt haben wir über 650 000 solcher Vermerke ausgewertet, mit denen diese (Sprech)Handlungen während der letzten drei Wahlperioden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen protokolliert wurden.
Beifall ist die Lautäußerung mit der im Parlament typischerweise Zustimmung kundgetan wird. Wer für wen wie häufig klatscht, verrät daher einiges über die inhaltliche Nähe der Fraktionen. Die Abbildung fasst für die 6. Wahlperiode grafisch zusammen, wie häufig die Fraktionen bei Reden applaudierten, die von einem Fraktionskollegen oder aus einer anderen Fraktion gehalten wurden. Je dunkler die Kachel, desto mehr Applaus wurde einem Redner (Fraktionszugehörigkeit auf der vertikalen y-Achse) von den Fraktionen (auf der x-Achse) durchschnittlich gespendet.
Die Isolation der AfD in allen drei Landtagen tritt deutlich zu Tage. Spricht die AfD, rühren die anderen Fraktionen meist keine Hand. Die Hände bleiben insbesondere bei den Grünen und Linken als den klarsten Antagonisten der AfD im Schoß. Sie klatschen nur etwa bei jeder fünften Rede eines AfD-Vertreters, wobei dies Beifall einschließt, der nicht unbedingt als Zustimmung zu werten ist, wie das Beispiel einer Rede von Steffen Königer (AfD) im brandenburgischen Landtag zeigt. Etwa doppelt soviel Beifall erhält die AfD von der CDU (statistisch 0,4 Mal pro Rede). Umgekehrt hat die AfD noch mehr Applaus für die CDU übrig (1,8 Mal pro Rede). Vor allem in Sachsen und Thüringen klatscht die AfD kaum für Rederinnen und Redner aus dem links-grünen Lager (0,3 Mal).
Wenig überraschend klatschen die Fraktionen häufig für die eigenen Redner (8,7 Mal), bei der AfD in Sachsen und der Linken in Brandenburg ist dieses Muster besonders stark. Die Beifallmuster lassen auch den für parlamentarische Systeme typischen Gegensatzes von Regierung und Opposition aufscheinen. Rot-Rot-Grün beklatschen sich in einträchtiger Dreisamkeit häufig gegenseitig im Thüringen Landtag. Dagegen spenden etwa die Brandenburger Grünen auch einigen ihrer christdemokratischen Kollegen Applaus, mit denen sie die Oppositionsbank teilen.
Interessant ist auch, dass sich die etablierten Parteien vor allem in Brandenburg häufiger beklatschen als in der vorhergehenden Legislaturperiode (ohne Präsenz der AfD). Der Beifall, den sich Linke und CDU gegenseitig spenden, verdoppelt sich ungefähr zwischen 5. und 6. Wahlperiode (ohne dass sich Regierungs- und Oppositionskonstellationen verändert haben). Dies kann daran liegen, dass sich selbst CDU und Linke in einhelliger Ablehnung der AfD an der Applausfront treffen können. Tatsächlich haben die Landtagsfraktionen außer der AfD zu Beginn der Legislaturperiode vereinbart, in bestimmten Fällen eine gemeinsame Antwort auf AfD-Anträge zu geben.
Dass Parlamentsfraktionen in herzlicher Abneigung einander verbunden sind, ließ sich schon vor dem Einzug der AfD beobachten. Die Intensität der beiderseitigen Abneigung von etablierten Parteien und AfD ist aber ein neues Phänomen, wie die folgende Abbildung verdeutlicht. Sie listet für alle drei Bundesländer für jede Wahlperiode seit 1999 auf, welche Fraktionen am seltensten füreinander applaudierten. Die Beziehung der AfD vor allem zu den Fraktionen vom linken Spektrum erweist sich auch im Zeitvergleich als einzigartig unterkühlt. Selbst die traditionell intensive Abneigung zwischen CDU und Linken lässt Raum für deutlich mehr beiderseitige Zustimmung. Beispielsweise beklatschten sich CDU und Linke in der 5. Wahlperiode in Sachsen etwa dreimal so häufig wie Linke und AfD in der aktuellen Wahlperiode.
Die Beifallmuster werden teils ins Gegenteil verkehrt, wenn wir auf die Zwischenrufe blicken. Wem man seltener applaudiert, dem ruft man häufiger dazwischen. Besonders Linke, Grüne und SPD werden als Zwischenrufer aktiv, wenn ein AfD-Mann oder eine AfD-Frau am Rednerpult steht. Umgekehrt rufen AfD-Parlamentarier besonders häufig bei den Linken dazwischen.