Anhänger:innen aller im Bundestag vertretenen Parteien sind mehrheitlich dafür, eine mögliche Minderheitsregierung zu unterstützen. Doch es gibt auch Vorbehalte gegen das Regieren mit wechselnden Mehrheiten.
Während die Wähler:innen regelmäßig nach ihrer Meinung über verschiedene Koalitionsformate gefragt werden, wissen wir über ihre Einstellung gegenüber Minderheitsregierung recht wenig. Um diese Lücke zu füllen, haben wir zwei Wochen vor der Bundestagswahl 2.750 Bürger:innen über eine bevölkerungsrepräsentative quotierte Online-Umfrage zu ihrer Meinung nach Minderheitsregierungen und Mehrheitskoalitionen befragt.
Zunächst interessierte uns, inwiefern die Bürger:innen Leistungsunterschiede zwischen beiden Regierungsalternativen erwarten. Dazu haben wir gefragt, welche Regierungsform verschiedene erstrebenswerte politische Ziele wohl am besten erreichen würde. In der Abbildung zeigen die blauen Punkte an, in welche Richtung eine positive Bewertung ausschlägt. Die Prozentzahlen geben die genauen Antworthäufigkeiten an.
Es zeigt sich, dass sich die Bürger:innen von Mehrheitsregierungen die größeren Vorteile versprechen. Sie gelten insbesondere mit Blick auf die Regierungsstabilität überlegen. Tatsächlich attestieren internationale Untersuchungen Mehrheitsregierungen eine längere Überlebensdauer. Verbreitet ist unter den Befragten auch die Überzeugung, dass Mehrheitsregierungen eher einen breiten Konsens finden können und ihre Politik besser mit der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung übereinstimmt. In der Forschung findet sich für diese Einschätzung keine Bestätigung. Mußtmaßlich suggeriert das Wort Minderheitsregierung fälschlicherweise, dass hier Minderheiten und nicht (wechselnde) Mehrheiten regieren.
Minderheitsregierungen wird dagegen eher zugetraut, ehrliche (anstelle von “faulen”) Kompromissen zu schließen und offene Diskurse zu begünstigen. Tatsächlich dürfte man sich im Bundestag abwechslungsreichere Debatten versprechen, wenn nicht von vornherein ausgemacht ist, dass die eine Regierungsmehrheit immer gegen alle Oppositionsfraktionen stimmt. Auffällig ist, dass jede:r Fünfte weder Mehrheits- noch Minderheitsregierungen zutraut, für die Einhaltung von Wahlversprechen zu sorgen.
Die Skepsis gegenüber Minderheitsregierung zeigt sich auch, wenn man gezielt (kurz vor der Bundestagswahl) danach fragt, ob der potentielle Wahlsieger, CDU/CSU, SPD und Grüne anstelle einer Mehrheitskoalition auch eine Minderheitsregierung sondieren sollte.
Besonders groß ist die Skepsis unter den Anhänger:innen von CDU/CSU. Nur etwa jede:r Fünfte bevorzugt eine CDU-geführte Minderheitsregierung gegenüber einer CDU-geführten Mehrheitsregierung. Die Anhänger:innen von SPD und Grünen stehen zwar Minderheitsregierungen positiver gegenüber, sie bevorzugen aber trotzdem mehrheitlich die Bildung von Mehrheitskoalitionen. Die Anhänger:innen anderer Parteien wünschen sich eher eine Minderheitsregierung, sollte nicht ihre eigene Partei als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen.
Die Anhänger:innen von CDU/CSU, SPD und Grünen erwarten also von ihrer Partei im Falle eines Wahlsieges mehrheitlich die Bildung einer Mehrheitsregierung. Interessant ist nun, dass die Wähler:innen aber einen pragmatischen Umgang mit einer möglichen Minderheitsregierung für angemessen halten.
Konkret erwartet die Mehrheit der Befragten von ihrer Partei eine von einer anderen Partei angeführte Minderheitsregierung zu unterstützen. So sind 74% der Unionswähler:innen der Ansicht, dass die CDU/CSU keine Fundamentalopposition betreiben sollte, wenn es zu einer SPD-geführten Minderheitsregierung käme. Diese pragmatische Einstellung ist gegenüber einer grün-geführten Minderheitsregierung etwas geringer ausgeprägt. Überraschend ist, dass auch AfD-Sympatisant:innen mehrheitlich eine Unterstützung einer Minderheitsregierung durch ihre Partei erwarten würden.
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Dr. Theres Matthieß
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Prof. Dr. Christian Stecker
Universität Mannheim, MZES & TU Darmstadt
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