Kognitive Differenzierung und Kollateral-Stratifikation. Effekte des stringenten Ability-Tracking auf die (Ent-)Kopplung kognitiver und sozialer Einflüsse auf die Leistungen in der Sekundarstufe

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie
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vi, 215–246 S.
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2025

Esser, Hartmut
ISSN: 0023-2653 (print) , 1861-891X (online)

Der Beitrag behandelt die bekannte Frage nach den Effekten der kognitiven Differenzierung auf die Entstehung sozialer Stratifikationen im Bildungserfolg für einen kaum untersuchten Spezialfall: die hier sogenannte Kollateral-Stratifikation als die nur korrelative Kovariation von kognitiver Differenzierung und sozialer Stratifikation über bedingte, nicht notwendige und vermeidbare Nebenfolgen der Leistungsdifferenzierung am Ende der Grundschule, speziell aus der Interaktion von kognitiven und sozialen Bedingungen. Grundlage sind die Daten der „National Educational Panel Study“ (NEPS) für die deutschen Bundesländer. Drei Vorgänge werden untersucht: Kollateral-Stratifikationen bei der Bildungsbeteiligung, bei der Strukturierung der Schulklassen im Zuge des Übergangs von der Grundschule in die Sekundarstufe und bei den Leistungen in der Sekundarstufe. Das Ergebnis unterstützt die neueren Befunde zu den Effekten einer stringent organisierten kognitiven Differenzierung. Bei der Bildungsbeteiligung gibt es mit der Stringenz weder eine Verstärkung des Herkunftseffektes noch eine Kollateral-Stratifikation, die kognitive und die soziale Zusammensetzung der Schulklassen entkoppeln sich und bei den Leistungen in der Sekundarstufe zeigt sich sogar eine Kollateral-„Kompensation“ zugunsten der weniger talentierten Kinder aus den unteren sozialen Schichten. Allerdings gibt es auch Hinweise auf stratifizierende Effekte der Interaktion von kognitiven Fähigkeiten und sozialer Herkunft, Nachteile gerade der talentierten Kinder aus den unteren Schichten und Schereneffekte zugunsten der Kinder aus den oberen Schichten. Die lassen sich über Mängel in den Praktiken und Schlupflöcher bei den Regelungen und der faktischen Durchführung der Differenzierung erklären. Es sind Folgen von auch institutionellen Lücken in der Stringenz, die geschlossen werden könnten.