Dirk De Bièvre
Governance in International Trade: Judicialisation and Positive Integration in the WTO

Preprint
2004/7 p.
,
Bonn
,
Max Planck Institute for Research on Collective Goods
,
2004

Eine Politik der positiven Integration, definiert als Politik, die die negativen Folgen von Marktin-tegration korrigiert, stellt schon auf europäischer Ebene eine Herausforderung für die zwischen-staatliche Koordination dar. Noch schwieriger gestaltet sie sich auf internationaler und globaler Ebene. Die politischen Transaktionskosten, die entstehen, wenn mehr als 140 Staaten in einem Einstimmigkeit erfordernden, legislativen Prozess – wie in der Welthandelsorganisation (WHO) – Schritte in Richtung einer Politik der positiven Integration unternehmen, sind sehr hoch. Dennoch haben in Fall der WHO die Mitgliedstaaten den Rubikon überschritten und eine Anzahl von Über-einkommen getroffen, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, bestimmte politische Massnah-men in Bereichen zu treffen, die früher ausschliesslich den Nationalstaaten oblagen. Es besteht ein ständiger politischer Druck, den Rahmen der WHO um Elemente zu ergänzen, die keinen exklusi-ven Handelscharakter haben, und damit die zuvor auf reine Handelsfragen beschränkte Organisa-tion zu einer Steuerungsstruktur mit regulativen Aufgaben umzugestalten. So wurden Schritte zur internationalen Regulierung des geistigen Eigentums eingeleitet, sowie Abkommen über Gesund-heit, technische Handelshemmnisse und Investitionen abgeschlossen. Da die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen jedoch bereits Kompetenzen in diesen Politikbereichen besaßen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie den institutionellen Kontext zur Behandlung der jeweiligen Regelun-gen und Abkommen bilden würden. Weiter gibt es – bisher allerdings erfolglose – Bestrebungen weitere Politikbereiche wie etwa das Arbeitsrecht, die Umweltpolitik oder die Wettbewerbspolitik unter der Zuständigkeit der WHO zu bringen. Das wirft die Frage auf: warum und unter welchen Bedingungen ist eine Politik der positiven Integration in der WHO möglich? Dieses Papier formuliert theoretisch eingebettete Hypothesen, die versuchen, diese – bisher unbeantwortete – Frage zu beantworten. Ich argumentiere, dass Juridifizierung , d.h. die Existenz einer verbindlichen Konfliktschlichtung durch Dritte, jeder einzelnen Verpflichtung der Welthandelsorganisation mehr Glaubwürdigkeit verleiht. Indem die Juridifizierung die Durchsetzung der Bestimmungen der WHO erleichtert, setzt sie Anreize für die politischen Akteuren in der legislativen Arena der WHO, Fragen der positiven Integration in den Zuständigkeitsbereich der Gerichtsbarkeit der WHO zu bringen. Es ist das Ziel des Papiers, die Erklärungskraft dieser Hypothese zu untersuchen, anhand der empirischen Beispiele positiver Integration in der WHO (geistiges Eigentum, Gesundheit, technische Handelsbarrieren und Investitionsbarrieren) zu erkunden, und neue theoretische und empirische Einsichten in die Ursachen und Bedingungen einer internationalen Zusammenarbeit zu gewinnen. Damit soll ein Beitrag zu einer interdisziplinären Debatte über die Juridifizierung des Welthandelsregimes und deren Ein-fluss auf die Entstehung globaler Regierungsformen geleistet werden.

Positive integration among states, defined as the correction of negative externalities from liberali-sation, is generally assumed to be very difficult to achieve on the European level, let alone on the international or global level. The political transaction costs of achieving positive integration legis-lation indeed seem daunting in an organisation such as the World Trade Organization (WTO), which operates under conditions of unanimity and has a membership of over 140 sovereign states. Yet, member states seem to have crossed the Rubicon: They have concluded a number of agree-ments that impose positive obligations to adopt new policy measures in fields traditionally re-stricted to the sovereign nation-state. There has been consistent political pressure to graft other, non-trade issues onto the WTO framework, i.e. to enlarge an organisation that formerly dealt exclusively with trade into a governance structure that also has regulatory competences in other areas of public policy. WTO member states have indeed introduced the obligation to protect intel-lectual property rights internationally, and they have concluded agreements on health, on technical barriers to trade, and on investment – each of these being fields of public policy for which more specialised agencies within the United Nations system would seem to have been the more natural locus for such agreements. Further, there have been – hitherto unsuccessful – calls to bring labour rights, environmental standards, or competition policy under the jurisdiction of the WTO. This raises the question: why and under which conditions is positive integration possible in the WTO? The present paper seeks to formulate theoretically embedded hypotheses that answer this question. I argue that judicialisation – the presence of binding third party enforcement – makes every single WTO commitment more credible. Because judicialisation facilitates enforcement, it exerts force on political actors in the legislative arm of the organisation to bring positive integra-tion issues under the jurisdiction of the WTO. The aim of this paper is to explore the explanatory force of this general hypothesis in empirical cases of positive integration (intellectual property, health, technical barriers to trade, and investment) and to come to new theoretical and empirical insights about the sources of and conditions for international cooperation. This paper thus aims to contribute to interdisciplinary research on judicialisation in international trade governance and the impact of judicialisation on the emergence of global governing structures.