Das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler
Das Projekt untersuchte die Frage, wann und unter welchen Bedingungen das Bundesverfassungsgericht Gesetze beanstandet und so zu einem wirksamen Vetospieler im politischen System Deutschlands wird.
In der Literatur werden Verfassungsgerichte als Vetospieler betrachtet, da sie erlassene Gesetze für verfassungswidrig erklären und so den von Legislative und Exekutive geschaffenen Status quo verändern können. Wann genau sie von ihrer Position Gebrauch machen, ist jedoch bislang nur unzureichend beleuchtet worden. Daher war das Projekt von zwei Erkenntnisinteressen geleitet: Zum einen der Entwicklung einer tragfähigen Theorie des Zusammenspiels von Gericht, Legislative und Exekutive, zum anderen der empirischen Überprüfung dieser Theorie am deutschen Beispiel und der Beantwortung der konkreten Frage, wann das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler agiert.
Zu diesem Zweck wurde eine Datenbank auf drei zentralen Säulen aufgebaut. Die erste Säule umfasst die wesentlichen Charakteristika der Senatsentscheidungen des Gerichts von 1972 bis 2010 wie beispielsweise die Antragsteller oder die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes. All diese Informationen wurden erstmalig systematisiert erhoben und erlauben bislang nicht mögliche Large-N-Untersuchungen. Die zweite Säule verknüpft die Gerichtsentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess. Hierfür wurde ein bereits bestehender Datensatz, basierend auf der GESTA/DIP-Datenbank des Bundestags, um die Daten der 16. Legislaturperiode erweitert; zudem wurden die Parlamentsentscheidungen über Gesetze mit den diese Gesetze betreffenden Gerichtsentscheidungen verlinkt. In der dritten Säule finden sich Daten zum gesellschaftlichen und politischen Kontext aus bestehenden Datensätzen (z.B. ALLBUS, Politbarometer).
Unsere Analysen zeigen, dass das Verfassungsgericht nicht nur politische Ergebnisse überprüft, sondern teilweise auch konkretere Handlungsanweisungen gibt. Dabei berücksichtigt es andere Akteure wie etwa die Öffentlichkeit. Folglich agiert es strategisch. Im Speziellen weisen wir schließlich nach, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der das Gericht ein Veto gegen ein Gesetz einlegt, erheblich von den Präferenzen der beteiligten Akteure abhängt, also von der Regierung, dem Bundestag und dem Bundesrat sowie dem Gericht selbst. Liegen die Präferenzen des Gerichts in der Schnittmenge der Präferenzen der übrigen Akteure, erklären die Richter ein Gesetz weit seltener für verfassungswidrig als in Situationen, in denen sie außerhalb dieser Schnittmenge liegen.
Deshalb sollten Verfassungsgerichte neben anderen Akteuren im politischen System als gleichwertige Institutionen berücksichtigt und analysiert werden.