Krisenkorporatismus oder Korporatismus in der Krise? Soziale Konzertierung und Sozialpakte in Europa

Fragestellung/Ziel: 

Die industriellen Beziehungen sind in Deutschland und einigen EU-Ländern von einer langjährigen Sozialpartnerschaft geprägt. Aufbauend auf der neokorporatistischen Theorie und politisch-ökonomischen Ansätzen untersuchte das Projekt, ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen, die Regierungen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in ihr Krisenmanagement einbezogen haben und welche Konsequenzen daraus entstanden sind. Während soziale Pakte, d.h. formelle Vereinbarungen zwischen der Regierung und den Sozialpartnern, in den 1990er Jahren noch häufiger vorkamen, waren die Bemühungen um soziale Konzertierung seit 2008 in den europäischen Ländern eher begrenzt.

Die Ergebnisse des Projektes werden in Form von Vergleichs- und Fallstudien in einem Sammelband veröffentlich. Eine qualitativ vergleichende Analyse (QCA) von 29 europäischen Ländern mit über 90 Kabinettszeiträumen (Regierungsperioden) kam zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Offenheit, das korporatistisches Erbe und eine Regierungsbeteiligung linker Parteien soziale Konzertierung besonders fördern, während gerade die korporatistischen Länder mit hohem wirtschaftlichem Druck paradoxerweise keine erfolgreiche Konzertierung vorweisen. Daneben haben internationale Experten in acht Länderfallstudien das Verhältnis zwischen Regierung und Sozialpartnern während der Großen Rezession analysiert. Darüber hinaus untersuchte eine Fallstudie den sozialen Dialog auf europäischer Ebene und zeigt dessen begrenzte Reichweite auf. Das Schlusskapitel vergleicht die acht Fallstudien und zeigt auf, wie die wirtschaftlichen und politischen Kontexte sowie die Dimension der industriellen Beziehungen mit sozialer Konzertierung zusammenhängen. 

Am auffälligsten sind die Ergebnisse, dass die Haushaltsdisziplin der Europäischen Union die soziale Konzertierung in einigen Mitgliedsstaaten behinderte, und dass die Länder mit koordinierter Marktwirtschaft, gemessen an den von uns betrachteten Indikatoren, besser durch die Wirtschaftskrise gekommen sind, woran die Sozialpartner einen maßgeblichen Anteil hatten. Insgesamt zeigt die Betrachtung der Vergleichs- und Fallstudien eher ein düsteres Bild der sozialen Konzertierung. Das auf einer starken Sozialpartnerschaft beruhende Europäische Sozialmodell steht nun angesichts einer neuen Herausforderung – der Corona Pandemie -an einem Scheideweg.

Fact sheet

Finanzierung: 
DFG
Laufzeit: 
2014 bis 2020
Status: 
beendet
Datenart: 
Interviews, Primärtextanalysen, quantitative Indikatoren
Geographischer Raum: 
Deutschland im europäischen Vergleich

Veröffentlichungen

Bücher

Ebbinghaus, Bernhard, und J. Timo Weishaupt (Hrsg.) (2021): The Role of Social Partners in Managing Europe’s Great Recession: Crisis Corporatism or Corporatism in Crisis?. London and New York: Routledge. [Routledge Studies in the Political Economy of the Welfare State] mehr
Bender, Benedikt (2020): Politisch-ökonomische Konfliktlinien im sich wandelnden Wohlfahrtsstaat. Positionierung deutscher Interessenverbände von 2000 bis 2014. Wiesbaden: Springer VS. mehr