Hartmut Esser
Ehekrisen. Das Re-Framing der Ehe und der Anstieg der Scheidungsraten

Zeitschrift für Soziologie, 2002: 31, Heft 6, S. 472-496

In dem Beitrag wird die eigenständige Bedeutung von Ehekrisen für die Scheidung und für die Erklärung der Zunahme der Scheidungsraten in den letzten Jahrzehnten untersucht. Das theoretische Konzept dabei ist das Modell der Frame-Selektion, wonach die (In-)Stabilität von Ehen insbesondere von deren "Rahmung" als unverbrüchliche "Institution" (zu Beginn) abhängig ist. Ehekrisen werden in diesem Zusammenhang als Indikator für die Re-Definition dieser Rahmung von Ehen interpretiert. Es zeigt sich, dass die Ehekrisen in der Tat ein derartiges Re-Framing darstellen, einen eigenen "kausalen" Beitrag bei der Auflösung von Ehen liefern und in ihrem Vorkommen und, besonders, in ihren Auswirkungen auf die Scheidung im Laufe der Zeit deutlich zugenommen haben. Darüber kann ein beträchtlicher zusätzlicher Teil der Kohorteneffekte auf das Scheidungsrisiko erklärt werden. Die Ergebnisse lassen sich sowohl als eine nachhaltige Bestätigung des verwendeten allgemeinen theoretischen Konzeptes, des Modells der Frame-Selektion, sowie der gelegentlich vorgebrachten Vermutung werten, wonach im Zuge der zunehmenden funktionalen Differenzierung der Gesellschaft die "Ansprüche" der Partner an ihre Ehe in einem Maße gestiegen sind, dass sie in der gleichen Beziehung kaum noch erfüllt werden können.

This contribution analyzes the importance of marriage crises as a cause of divorce and as an explanation for the rising rates of divorce during the past few decades. The theoretical concept used is the model of frame-selection, according to which the (in-)stability of marriages is especially dependent on their "framing" as a steadfast "institution" (at their beginning). In this context marriage crises are interpreted as an indicator for the re-definition of this framing of marriages. It is shown that marriage crises do, indeed, represent such a re-framing, that they make an independent "causal" contribution to the dissolution of marriages, and that they have clearly increased in their occurrence and especially in their effects on divorce over the course of time. This explains the considerable additional share of cohort effects on the risk of divorce. In addition, as predicted by the theoretical model, a clear interaction between the framing of marriage and cohorts on susceptibility to crises and the risk of divorce can be observed: the impact of weak framing increases with younger cohorts, whereas there are virtually no cohort effects in the case of strong framing. The results can be interpreted both as a strong confirmation of the general theoretical concept used, the model of frame-selection, and of the idea, occasionally proposed, that in the process of increasing functional differentiation of society the "demands" partners make on their marriage have risen to such an extent that they can hardly be met in the same relationship.