Die Re-Organisation wirtschaftlicher Interessen. Institutionelle Anpassung der Verbände an neue Herausforderungen
Das deutsche Modell der Interessenvertretung ist durch Globalisierung, Europäisierung und technologischen Fortschritt unter Druck geraten und sieht sich fundamentalem Wandel gegenüber. Der Wandel in der Organisation von Wirtschaftsverbänden ist gleichzeitig von der sozialwissenschaftlichen Forschung in den vergangenen Dekaden eindeutig vernachlässigt worden. Das Projekt hat daher das multifunktionale Setting deutscher Interessengruppen, die Heterogenität ihrer Organisationsstrukturen sowie Aufgaben näher untersucht. Mit dem Fokus auf Industrieverbänden wurde analysiert, wie Verbände in unterschiedlichen Umwelten agieren und wie sie als Organisationen auf Änderungen in ihrer Umwelt reagieren. Das Projekt umfasste insgesamt 165 deutsche Industrieverbände von der Landes-, Fachverbands- und Branchenebene aus sechs Branchen: Chemieindustrie, Elektroindustrie, Ernährungsindustrie, Maschinenbau, Metallindustrie, Textil- und Modeindustrie.
Die Untersuchung verfolgte einen mixed-method Ansatz. So wurde auf der Basis konkurrierender Hypothesen einerseits mittels analytischer Statistik ein large-N (also viele Einzelfälle enthaltender) Datensatz untersucht und zudem wurden auch vergleichende Fallstudien angefertigt. Für die Untersuchung der Europäisierung der deutschen Verbände wurde das Netzwerk der entsprechenden europäischen Verbände in die Untersuchung mit einbezogen. Im Projekt stand dafür zunächst die Generierung der notwendigen Daten an: So wurden relevante Online-Ressourcen gesichert, eine Online-Befragung von Verbandsgeschäftsführern (N = 127) und Mitgliedsunternehmen (N = 280) deutscher Industrieverbände durchgeführt sowie semi-strukturierte Interviews mit Verbandsgeschäftsführern (N = 52) geführt.
Die Projektergebnisse bestätigen weder die Erwartung eines fundamentalen Wandels im System der deutschen Industrieverbände noch die Annahme, dass die Wirtschaft der alleinausschlaggebende Faktor ist. In Zeiten ökonomischen Umbruchs können insbesondere auf der Ebene der Fachverbände grundlegende Veränderungen stattfinden, die auch zur Auflösung einzelner Verbände führen können. Die grundlegende Struktur des Verbandssystems bleibt davon aber unberührt. Die Fallstudien und Fallvergleiche zeigen, wie stark Wirtschaftsstrukturen auf der Branchen- und Fachverbandsebene die Organisationsidentitäten und damit die Strategien der Verbände beeinflussen. Zugleich wird aber auch ersichtlich, wie unterschiedlich die Antworten von Verbänden auf sich ändernde Bedingungen ausfallen. Von einer einheitlichen Anpassungslogik kann keine Rede sein. In dieser Hinsicht ergänzt das Projekt die herrschende Perspektive der Interessengruppenforschung und unterstreicht die Notwendigkeit, unterschiedliche Erklärungsansätze zu berücksichtigen.