Achim Hurrelmann
Verfassungspolitik als Konstruktion von Lernprozessen? : Konstitutionalisierung und Identitätsbildung in der Europäischen Union

Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung: Arbeitspapiere; 51
Mannheim
,
MZES
,
2002
ISSN: 1437-8574

Mit Joschka Fischer, Johannes Rau und Gerhard Schröder haben in den vergangenen Jahren die drei wichtigsten außenpolitischen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland Modelle für eine europäische Verfassung vorgelegt. Analysiert man diese Modelle auf Grundlage einer Verfassungstheorie, in die Erkenntnisse sozialkonstruktivistisch ausgerichteter Institutionenanalysen eingehen, so zeigt sich, dass ihre Vorschläge auf derselben Logik beruhen: Zwar vertritt Fischer ein am Vorbild der USA orientiertes Modell der Verfassungsgebung als „Gründungsakt“, während Rau und Schröder sich auf das in Deutschland einflussreiche Konzept der Verfassung als „Wertordnung“ beziehen. Gemeinsam ist allen Modellen aber die Hoffnung, dass die Verabschiedung einer Verfassung als „Fundament, nicht Schlussstein des europäischen Bauwerks“ (Rau) Identitätsbildungsprozesse in der europäischen Bevölkerung in Gang setzen würde. Verfassungspolitik wird mithin als Versuch der Konstruktion gesellschaftlicher Lernprozesse betrieben. Dieser Beitrag diskutiert die Erfolgschancen eines solchen Konzepts. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Verfassungspolitik zwar grundsätzlich gesellschaftliche Lernprozesse beeinflussen kann, der Versuch einer gezielten "Identitätsbildung durch Verfassungsgebung" aber eine voraussetzungsvolle und mit beträchtlichen Risiken verbundene verfassungspolitische Strategie ist.

Dieses Arbeitspapier ist Ergebnis eines Beitrags zur Tagung "Verfassungspolitik in der Europäischen Union" im DFG-Forschungsschwerpunkt "Regieren in der EU" im November 2001 in Mannheim. Abgedruckt ist es in dem Sammelband, in dem die Beiträge zu dieser Tagung gebündelt wurden.

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