Geschlechterunterschiede in Kompetenzen und Bildungsentscheidungen bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland - Der Einfluss geschlechtsspezifischer Sozialisation
Übergeordnetes Projektziel war die Untersuchung ethnienspezifischer Geschlechterungleichheiten im deutschen Bildungs- und Ausbildungssystem. Hierzu wurden verschiedene Zeitpunkte in der Bildungskarriere näher analysiert und typische Verläufe über die Schulkarriere hinweg nachgezeichnet, um detailliert zu ermitteln, wo und weshalb Unterschiede entstehen, sich verringern oder sich gegenseitig verstärken. Für die empirischen Analysen wurden Daten aus dem Nationalen Bildungspanel, dem Projekt „Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien im deutschen und israelischen Bildungssystem“ sowie Sonderauswertungen der amtlichen Bildungsstatistik des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen verwendet.
Es ließ sich zeigen, dass türkische Eltern ihre Töchter beim Übergang in die Sekundarstufe nicht (substanziell) benachteiligen. Zwar deutet sich eine leichte Benachteiligung an, jedoch sind die Unterschiede eher gering. Auch wandelt sich ein möglicher Vorteil, den Jungen beim Übergang in die Sekundarstufe möglicherweise noch hatten, im Verlauf der Sekundarstufe in einen Nachteil: Spätestens ab der siebten Klasse positionieren sich die Mädchen im Bildungssystem besser als die Jungen. Letzteres scheint auch für weitere Einwanderungsgruppen zu gelten, die mit eher traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen in Verbindung gebracht werden, wie z.B. Personen aus dem Nahen Osten oder Nordafrika.
Weiterhin zeigte sich, dass die mathematischen Kompetenzen der türkischstämmigen Schüler/innen zwar niedrig sind, ihre diesbezüglichen Selbsteinschätzungen dagegen aber äußerst positiv ausfallen, was insbesondere auf die jungen türkischstämmigen Frauen zutrifft. Dabei findet diese optimistische Selbsteinschätzung nicht nur hinsichtlich der mathematischen Fertigkeiten statt. Vielmehr verfügen türkischstämmige Jugendliche allgemein über ein überraschend optimistisches, nicht mit ihren tatsächlichen Leistungen korrespondierendes, schulbezogenes Selbstkonzept.
Die Untersuchung der beruflichen Aspirationen junger türkischstämmiger Frauen ergab, dass diese Frauen sich zwar vergleichsweise selten wünschen, in einem frauendominierten Beruf zu arbeiten, dies später aber häufig doch tun – und das zum Ende der Sekundarschulzeit sogar antizipieren. Demnach besteht die Möglichkeit, dass türkischstämmige junge Frauen im Verlauf des Übergangs in den Arbeitsmarkt in typische Frauenberufe abgedrängt werden.
Insgesamt konnten in dem Projekt wichtige neue Befunde darüber erlangt werden, zu welchen Zeitpunkten, in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß ethnische und geschlechtsspezifische Unterschiede entlang der Bildungskarrieren existieren.